Hamburgs Ex-Senator Kusch begleitet Suizid einer 79-Jährigen

Video dokumentiert Todeswunsch

Scharfe Kritik von Politik und Kirche

Hamburg/Berlin/Arusha (epd). Der ehemalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch hat eine 79-jährige Würzburgerin in ihren Suizid begleitet. Bettina Sch. sei am vergangenen Samstag freiwillig aus dem Leben geschieden, indem sie nach ärztlicher Anweisung zwei selbstbesorgte Medikamente getrunken habe, sagte Kusch am Montag vor Journalisten in Hamburg. Ein von ihm entwickelter Injektionsapparat sei nicht zum Einsatz gekommen, weil er die Anonymität des Arztes habe schützen wollen, der die Kanülen hätte legen müssen. Politiker und Kirchenvertreter kritisierten Kuschs Vorgehen scharf. Die Staatsanwaltschaft Hamburg leitete ein Vorermittlungsverfahren ein.

Kusch präsentierte einen Videomitschnitt von Gesprächen mit der alten Frau, in denen sie die Angst vor einem Leben im Pflegeheim als Grund für ihren Suizid angibt. Sie habe von sich aus Kontakt mit Kusch aufgenommen, als sie über das Internet von seinem "Todesautomaten" erfahren habe, sagt Bettina Sch. in dem von Kuschs Sterbehilfe-Verein aufgezeichneten Video.

Kusch bekräftigte seine Ansicht, dass die menschliche Selbstbestimmung "bis zum letzten Atemzug" zu gelten habe. Die eigene Entscheidung über ein würdiges Lebensende dürfe "nicht bloß theoretisch in Seminaren erörtert" werden, sondern sei "eine Frage des Alltags", sagte der Ex-Senator.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft prüft unterdessen, ob sie ein Ermittlungsverfahren gegen Kusch einleiten wird, "Derzeit tragen wir alle Daten und Fakten über den Fall zusammen", sagte Sprecher Wilhelm Möllers dem epd. Erst dann könne die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob sie zum Beispiel wegen Tötung auf Verlangen, unterlassener Hilfeleistung oder wegen anderer Straftatbestände ermitteln werde.

Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) nannte Kuschs Vorgehen "absolut inakzeptabel". Er versuche, sich mit seinem Tötungsapparat auf Kosten schwer kranker Menschen zu profilieren. Der Furcht der Menschen, am Lebensende medizinisch überversorgt oder pflegerisch unterversorgt zu werden, sei nicht mit aktiver Sterbehilfe beizukommen. Die Bedingungen für ein würdiges Sterben müssten verbessert werden.

Der CDU-Bioethikexperte Hubert Hüppe sagte, Kusch betreibe "eine perfide Art von Selbstdarstellung mit dem Leiden von Menschen". Die Gemeinnützigkeit des von ihm gegründeten Vereins "Dr. Kusch Sterbehilfe e.V." bedürfe der Überprüfung.

Hamburgs evangelische Bischöfin Maria Jepsen sagte dem epd, ihre Kirche lehne Kuschs Vorhaben, den Apparat zur Sterbehilfe zur Anwendung zu bringen, scharf ab. Sie wollte rechtliche Schritte der Kirchen gegen Kusch nicht ausschließen. Der Senat in Hamburg habe das Thema vor Wochen bereits geprüft, "und wir werden es als Kirche gegebenenfalls auch prüfen."

Der Präsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Hermann Barth, sagte dem epd, er betrachte Kuschs Handeln mit "Abscheu und Unverständnis". Barth plädierte nachdrücklich dafür, aufzuhören, sich zu den "abstrusen Aktivitäten" von Kusch zu äußern. Mit jeder neuen Meldung werde dazu beigetragen, dass dieser seinem todbringenden Handeln weiter nachgehe. Als seriöser Diskussionspartner sei Kusch nicht ernst zu nehmen, sagte Barth. Er selbst werde künftig nichts mehr zu Kusch sagen.

Auch die Nordelbische Kirche zeigte sich schockiert. "Wer einsamen Menschen den Giftbecher reicht, statt ihnen ihre Ängste zu nehmen und sie zu begleiten, bereitet den Weg für eine unmenschliche Gesellschaft", sagte Bischof Hans Christian Knuth, Vorsitzender der Kirchenleitung, in Kiel. Kranke und sterbende Menschen brauchten Zuwendung und Nähe, keine Suizidhelfer.

Der Geschäftsführende Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, warnte davor, einem "politischen Amokläufer" aufzusitzen. Kusch missbrauche "scheinbar aus tiefstem Narzissmus" die Angst der Menschen vor Pflege, nur um öffentliche Aufmerksamkeit auf seine Person zu lenken. Es gebe laut Verfassung ein Recht auf Leben und eines auf Sterben, aber keines auf Töten.

30. Juni 2008