Evangelische Kirche: Ohne Ethik fährt die Wirtschaft vor die Wand

Werte eines ehrbaren Kaufmanns

Von Rainer Clos (epd)

Frankfurt a. M. (epd). Alarmierender könnten die Ergebnisse kaum ausfallen: Nur noch 27 Prozent der Deutschen vertrauen Umfragen zufolge darauf, dass die Bevölkerung davon profitiert, wenn es den Unternehmen gut geht. Nur noch 40 Prozent glauben, dass Wirtschaft und Bevölkerung in einem Boot sitzen.

Extreme Managergehälter, Lustreisen auf Firmenkosten, Korruption, Mitarbeiterbespitzelung, Lauschangriff auf Journalisten, Bilanzmanipulation, Steuerbetrug, "Heuschrecken" sowie das Auseinanderdriften von Arm und Reich: Dies alles nährte diesen Generalverdacht und eine beunruhigende Akzeptanzkrise.

Dieser Vertrauensverfall liefert die Folie für eine neue Denkschrift, mit der die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ihren wirtschaftsethischen Standort justiert und sich in die Debatte über Markt und Moral einmischt. Dabei vermeidet das Dokument mit dem Titel "Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive", das der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber am Mittwoch in Berlin vorstellte, simples "Unternehmer-bashing", für das problematisches Verhalten einzelner Manager und Unternehmen vielfältigen Anlass bieten.

Bischof Huber erinnert im Vorwort daran, dass evangelischer Glaube zu unternehmerischem Handeln ein positives Verhältnis habe. "Verantwortungsbereitschaft, Weltgestaltung, Unternehmensgeist und das Engagement für das Gemeinwohl sind als Tugenden in der evangelischen Tradition fest verankert", heißt es selbstbewusst. Als Kernbotschaft schärft die Denkschrift ein: Ethische Verwurzelung ist für wirtschaftliches Handeln unverzichtbar. Die Beachtung moralischer Maßstäbe und Übernahme sozialer Verantwortung führe keineswegs zu wirtschaftlichen Nachteilen, sondern zahle sich für Unternehmen und Wirtschaft positiv aus.

Unternehmertum sei nicht frei von sozialen Verpflichtungen und kulturellem Zusammenhang, sondern bleibe zur Rechenschaft verpflichtet. Mit Tendenzen, sich gesellschaftlich abzuschotten und den eigenen Zielen Vorrang zu geben, verspiele die Wirtschaft das wichtige Kapital Vertrauen, warnt die evangelische Kirche. Sie argumentiert: Da Unternehmer über Macht verfügen, werde von ihnen zu Recht erwartet, dass sie gemeinschaftlich anerkannten Werten folgten und Vorbild seien. "Wenn die Geschäftswelt ohne moralischen Kompass arbeitet, dann schwindet das moralische Kapital der Gesellschaft, das auch für das persönliche Handeln unabdingbar ist", wird gewarnt.

Als ethische Maßstäbe sind der EKD zufolge neben der auf den christlichen Geboten basierenden sozialen Verantwortung auch die Werte eines "ehrbaren Kaufmanns" gefragt. Nachhaltiges Handeln, gute Unternehmensführung, Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards, eine Unternehmenskultur, die Kooperation zwischen Management und Mitarbeitern, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie gesellschaftliches Engagement fördert, sind konkrete Empfehlungen.

Ordnungspolitisch unterstützt die EKD eine eingebettete Marktwirtschaft und keinen Marktradikalismus. Das Konzept der sozialen Marktwirtschaft sei angewiesen auf eine "schlüssige Verknüpfung von hoher wirtschaftlicher Dynamik durch die staatliche Sicherung funktionierenden Wettbewerbs mit sozialer Gerechtigkeit als Voraussetzung für breiten Wohlstand", lautet ein Leitsatz der Denkschrift, die detailliert die Folgen der Veränderungen auf den Finanzmärkten erörtert. Das Modell der sozialen Marktwirtschaft, das gesellschaftliche Teilhabe und Wohlstand für breite Schichten in unserem Land ermöglicht habe, behalte auch für die Zukunft verpflichtende Bedeutung, so Huber.

Das Spannungsfeld zwischen notwendiger Gewinnorientierung und sozialer Gerechtigkeit ist kein Neuland für Äußerungen der evangelischen Kirche. Die erste Wirtschaftsdenkschrift fragte 1991 nach dem tragfähigen Verhältnis von Gemeinwohl und Eigennutz. Viel beachtet wurde auch das gemeinsame Wort "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" von 1997, in dem die evangelische und die katholische Kirche neoliberalen Tendenzen eine Absage erteilten. In der Denkschrift "Gerechte Teilhabe. Befähigung zu Eigenverantwortung und Solidarität" rief die EKD 2006 zur Überwindung von Armut auf.

Vor diesem Hintergrund erscheint eine Deutung kurzschlüssig, in der Unternehmer-Denkschrift schließe die evangelische Kirche ihren Frieden mit dem Kapital. Vielmehr erinnert sie die Wirtschaft und Unternehmer angesichts von Auswüchsen bei der Verfolgung von Anleger- und Renditeinteressen an ihre soziale Verantwortung.

Der Braunschweiger evangelische Landesbischof Friedrich Weber brachte es kürzlich auf die prägnante Formel: Ohne Moral und Werte fährt die Wirtschaft vor die Wand. Offen bleibt allerdings, wie dieses wünschenswerte moralische Handeln jenseits von Appellen in die Wirtschaftstheorie Einzug hält. Denn nach der reinen Lehre gilt: Wirtschaftliches Handeln muss moralfern sein, wenn es zu dem angestrebten Erfolg für den Einzelnen und die gesamte Gesellschaft führen soll.

EKD-Pressemitteilung

Video-Mitschnitt der Pressekonferenzauf youtube (Teil I)

Video-Mitschnitt der Pressekonferenzauf youtube (Teil II)