Bischof Huber: Kirchen in Südafrika müssen neue Rolle finden

Johannesburg (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, hat die Kirchen im südlichen Afrika ermutigt, sich stärker aktuellen Herausforderungen zu stellen. "In Namibia wie in Südafrika suchen die Zusammenschlüsse der Kirchen noch nach einer Rolle, die an ihre große Bedeutung im Kampf gegen die Apartheid anschließen könnte", sagte der Berliner Bischof zum Abschluss einer Afrika-Reise in einem epd-Interview. Die Reise nach Namibia, Südafrika und Äthiopien geht an diesem Samstag zu Ende.

Die äthiopische Regierung forderte Huber zur Achtung der Menschenrechte auf. Er sprach von einer kritischen Phase in dem nordostafrikanischen Land: "Derzeit sind gesellschaftliche Gruppen und Nichtregierungsorganisationen in Äthiopien mit erheblichen Problemen konfrontiert." Ihre Möglichkeit, Anwalt von Menschenrechten zu sein, dürfe auf keinen Fall weiter beschnitten werden.

In Südafrika haben nach Einschätzung Hubers viele Menschen bisher nicht von Demokratie und wirtschaftlichen Erfolgen profitiert. "Das Land ist durch Armut und soziale Spannungen gekennzeichnet", sagte er. 14 Jahre nach dem Ende der Apartheid müssten die Kirchen zwar politisch bleiben und sich für Menschenrechte und Menschenwürde einsetzen: "Aber zugleich müssen sie auch deutlich zeigen, dass sie Kirchen sind."

Der EKD-Ratsvorsitzende forderte die Leiter der traditionellen Kirchen im südlichen Afrika auf, sich stärker als Alternative zu den rasant wachsenden unabhängigen Kirchen und Pfingstkirchen zu profilieren. Diese Herausforderung gelte ähnlich für die evangelischen Kirchen in Deutschland. "Wir müssen die Frage nach der persönlichen Glaubensgewissheit ernster nehmen als bisher und akzeptieren, dass Menschen sich nach neuen Formen der Frömmigkeit sehnen", sagte er.

Huber lobte die Entwicklung der deutschsprachigen Kirchen in Namibia und Südafrika, mit denen die EKD schon in Apartheidzeiten Kontakt gepflegt hatte. Immer mehr Gemeinden verstünden sich als multikulturell, in manchen seien mehr als 90 Prozent der Mitglieder schwarz. "Dass diese Veränderung in der kurzen Zeit seit Ende der Apartheid möglich war, hat mich sehr beeindruckt."

19. September 2008


Das Interview im Wortlaut:

Huber: Pfingstkirchen in Südafrika fordern traditionelle Kirchen heraus

EKD-Ratsvorsitzender mahnt Achtung der Menschenrechte in Äthiopien an

Johannesburg (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, ermutigt die traditionellen Kirchen im südlichen Afrika, sich stärker als Alternative zu den rasch wachsenden Pfingstkirchen zu profilieren. 14 Jahre nach dem Ende der Apartheid müssten die Kirchen sich weiter für die Menschenwürde einsetzen, aber auch stärker ihre geistliche Rolle betonen, sagte Huber in einem epd-Interview. Anlass war die zwölftägigen Reise einer EKD-Delegation nach Namibia, Südafrika und Ähtiopien, die an diesem Samstag zu Ende geht. Mit Huber sprach Marc Engelhardt.

epd: Bischof Huber, Südafrika hat auf Ihrer Reise eine besondere Bedeutung gespielt. Mit welchem Gefühl fahren Sie ab?

Huber: In Südafrika springt ins Auge, dass erhebliche Teile der Bevölkerung von 14 Jahren Demokratie und den Erfolgen etwa in der Wirtschaft nicht profitiert haben. Das Land ist durch Armut und soziale Spannungen gekennzeichnet. Die aktuelle politische Krise um die Frage, wer der nächste Präsident des Landes sein wird, hat die Unsicherheiten im Blick auf die großen Herausforderungen noch verstärkt.

epd: Spielen die Kirchen bei der Bewältigung dieser Herausforderungen eine angemessene Rolle?

Huber: In Namibia wie in Südafrika suchen die Zusammenschlüsse der Kirchen noch nach einer Rolle, die an ihre große Bedeutung im Kampf gegen die Apartheid anschließen könnte. In beiden Ländern haben die Kirchenräte an politischer Relevanz verloren, vielleicht gerade deshalb, weil sich diese Zusammenschlüsse ausschließlich politisch definieren. Damit werden sie den aktuellen Herausforderungen aber nicht gerecht.

Das gilt auch für die Entwicklungen im eigenen Umfeld: Mehr als die Hälfte aller südafrikanischen Christen sind mittlerweile Mitglieder von unabhängigen Kirchen und Pfingstkirchen, die dem Zusammenschluss, dem Rat der Südafrikanischen Kirchen, größtenteils nicht angehören. Dazu hat sich dieser bis heute nicht verhalten. Und auch die traditionellen Kirchen müssen sich stärker als Alternative zu den Pfingstkirchen bemerkbar machen. Natürlich müssen die Kirchen politisch bleiben, sie tragen eine besondere Verantwortung für Menschenwürde und Menschenrechte. Aber zugleich müssen sie auch deutlich zeigen, dass sie Kirchen sind.

epd: Die Evangelische Kirche in Deutschland unterhält enge Verbindungen zu den traditionell deutschsprachigen Kirchen im südlichen Afrika. Diese Zusammenarbeit wird wegen ihrer Rolle in der Apartheidszeit bis heute kritisiert. Halten Sie das für gerechtfertigt?

Huber: Bei unseren Partnern gibt es große Veränderungen. Immer mehr Gemeinden verstehen sich als multikulturell. In manchen von ihnen sind mehr als 90 Prozent der Mitglieder schwarz und sprechen Englisch oder afrikanische Sprachen. Dass diese Veränderung in der kurzen Zeit seit Ende der Apartheid möglich war, hat mich sehr beeindruckt. Ich habe auch eine wachsende Selbstkritik der deutschsprachigen Kirchen festgestellt, was die eigene Vergangenheit angeht. Die Annäherung der durch die Apartheid getrennten lutherischen Kirchen ist für mich ein gutes Zeichen.

An eine baldige Vereinigung der lutherischen Kirchen in Südafrika, die grundsätzlich sehr zu begrüßen wäre, glaube ich zwar nicht. Aber ihr gemeinsamer Steuerungsausschuss, der in Namibia schon existiert und in Südafrika im kommenden Jahr offiziell gegründet werden soll, ist ein guter, realistischer Schritt, um die versöhnte Verschiedenheit, für die das Wort von der "Regenbogennation" ja steht, auch im kirchlichen Bereich zu festigen. Für die Evangelische Kirche in Deutschland gibt es derzeit oder in naher Zukunft jedenfalls keinen erkennbaren Grund, an den Verträgen mit den Partnerkirchen etwas zu ändern.

epd: Was kann die Evangelische Kirche in Deutschland von dem rasanten Erfolg der Pfingstkirchen in Afrika lernen?

Huber: Wir müssen die Frage nach der persönlichen Glaubensgewissheit ernster nehmen als bisher und akzeptieren, dass Menschen sich nach neuen Formen der Frömmigkeit sehnen. Das ist schwer in einer Kirche, die in einer volkskirchlichen Tradition gewöhnt war, dass praktisch jeder in die Kirche hineingeboren wird und insofern als Christ aufwächst. Aber auch in Deutschland haben wir, wie in Südafrika, einen Traditionsbruch hinter uns. Die charismatischen Kirchen, die eine Sprache und Kultur gefunden haben, die heutigen Bedürfnisse aufzufangen, darf man weder theologisch noch in ihrem Frömmigkeitsstil kopieren. Aber das Bedürfnis, das sich in ihrem Erfolg widerspiegelt, müssen wir wahrnehmen, und zwar möglichst frühzeitig.

epd: Letzte Station Ihrer Reise ist Äthiopien: Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie dort?

Huber: Im Hinblick auf die Einhaltung von Menschenrechten durchläuft Äthiopien derzeit eine kritische Phase. Das Thema liegt uns besonders am Herzen, weil wir bereits in der Vergangenheit die Einschränkungen und Verletzungen von Menschenrechten mit Sorge beobachtet haben. Hilfen für dieses besonders arme Land, die wir befürworten, müssen mit Offenheit und Transparenz aufgenommen werden, und zwar gerade bei elementaren Menschenrechtsstandards. Derzeit sind gesellschaftliche Gruppen und Nichtregierungsorganisationen in Äthiopien mit erheblichen Problemen konfrontiert. Ihre Möglichkeit, Anwalt der Menschenrechte zu sein, darf auf keinen Fall weiter beschnitten werden.

19. September 2008