"Wo keine Kirchenmusik ist, fehlt der Gemeinde etwas"

Stuttgarter Kongress diskutiert den Stellenwert von Musik in der Kirche

Neues Interesse für moderne Tonkunst

Von Renate Kortheuer-Schüring (epd)

Stuttgart (epd). Der Stuttgarter Kirchenmusikkongress, zu dem sich rund 300 Musikwissenschaftler, Komponisten und Theologen trafen, wollte ein Zeichen setzen: Die "religiöse und kulturelle Relevanz der Kirchenmusik" solle ins Bewusstsein rücken, sagte Kongressleiter Jürgen Essl, Professor an der Musikhochschule Stuttgart. Neben der Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Musik und einem neuen Berufsbild des Kantors ging es dabei zugleich um Profanes: Will die von Sparzwängen gebeutelte Kirche - ob evangelisch oder katholisch - der Musik einen Stellenwert einräumen und ihre Kantoren dafür angemessen bezahlen? Hier forderten die Musiker mehr Klarheit.

Rund 3.500 Kirchenmusiker gibt es derzeit in Deutschland. Sie haben heute mehr zu tun denn je, denn viele Stellen wurden in den vergangenen Jahren zusammengelegt oder im Umfang reduziert. Längst ist ein Kantor zudem nicht mehr nur derjenige, der - wie von Wilhelm Busch mit spitzer Feder karikiert - sonntags die Orgel spielt: Den Chor leiten, Instrumentalgruppen und Ehrenamtliche betreuen, Konzerte organisieren und das Singen im Kindergarten gehören meist dazu. Angesichts dieser vielfältigen musikpädagogischen Aufgaben und gestiegener Verantwortung müsse es ein angemessenes Gehalt geben, fordert der Berliner Landeskirchenmusikdirektor Gunter Kennel.

Nach Essls Einschätzung verliert der Beruf des Kirchenmusikers mangels Anerkennung an Attraktivität. Die Zahl der Studierenden - derzeit rund 400 - gehe zurück: "Dort, wo keine Musik mehr gemacht wird, fehlt den Gemeinden etwas", sagte Essl. Zugleich verwies auch er auf das veränderte Berufsbild: Kirchenmusik spiele eine immer größere Rolle bei der Vermittlung musikalischer Bildung, die in Familien, Kindergarten und Schulen ansonsten zu kurz komme. "Wir müssen uns verstärkt darum kümmern, den Kindern das Singen beizubringen", sagte Essl. Er verband damit die Forderung nach einer stärkeren pädagogischen Ausbildung der Kantoren.

Als Aufgabe der Kirchenmusik diskutierte der Kongress auch die Vermittlung von neuer Musik. Sie gab es im Rahmenprogramm vor und nach den Vorträgen zu hören: außergewöhnliche Konzerte mit immer noch ungewohnten Klängen etwa der Komponisten und Professoren Hans Zender und Helmut Lachenmann, die zu den Teilnehmern zählten. Gerade die Kirche sei das "ideale Feld", der anspruchsvollen neuen Musik ein größeres Publikum zu verschaffen, meinte Zender, wenn sie denn aufgeschlossen wäre. Der Kulturwissenschaftler Hans Maier hatte die Kirchenmusiker zu Beginn der Tagung zu Experimentierfreude und Mut aufgerufen.

Die Zahl der Konzertbesucher wäre heute nicht "hoffnungslos", meint Zender. Auch der Leiter des Europäischen Kirchenmusikfestivals Schwäbisch-Gmünd, Ewald Liska, stellte beim Publikum eine "gewisse Neugier" fest. Heute bleibe nicht mehr das Gros des Publikums bei neuen Kompositionen weg.

Die Einbeziehung von Popmusik in den Gottesdienst, die vor nicht allzu langer Zeit noch Konfliktstoff bot, war nur indes noch am Rande ein Thema: Essl riet zur Vorsicht. Die Kirche dürfe nicht das "jedes musikalische Fähnchen in den Wind hängen"; es gehe um Qualität und die sei in der christlichen Popmusik oft nicht gegeben. Selbst einer der früheren Lobbyisten des Kirchen-Pops, Professor Peter Bubmann, warnte vor einer "Vereinfachung des religiösen Erfahrung", wenn etwa nur noch Gospelmusik gehört würde. In der Ausbildung sollte die Popmusik integriert sein, nicht aber einen eigenen Studiengang bilden.

Die Kirchenmusiker befürworten mehrheitlich die Offenheit für viele Stilrichtungen. Im Zusammenhang damit zog sich die Grundfrage nach dem Verhältnis von Theologie und Musik als roter Faden durch die Debatten. "Alle Musik kann geistlich sein", unterstrich der evangelische Theologe Bubmann. Es sei von Fall zu Fall zu prüfen, was passt und "was der christlichen Freiheit dient oder nicht". Er widersprach zugleich Versuchen der katholischen Theologie, zum Beispiel Joseph Ratzingers, die Kirchenmusik der Dogmatik zu unterstellen.

Vonseiten der großen Kirchen kamen am Ende aufbauende Worte: Kirchenmusik sei "eine tragende Säule" der Kirche, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, der neben dem katholischen Bischof Gebhard Fürst (Rottenburg-Stuttgart) zur Podiumsdiskussion geladen war. Ihr Angebot müsse aufrecht erhalten werden. Der neu gewählte Präsident des evangelischen Kirchenmusikerverbandes, Christoph Bogon, fand dies begrüßenswert. Er sei gespannt, sagte er, "wie sich das in der konkreten Arbeit niederschlägt".

24. Oktober 2008

Hauptreferat des EKD-Ratsvorsitzenden