Vor 25 Jahren kam es zum ersten Kirchenasyl in Deutschland

"Notfalls auch verstecken"

Berlin (epd). Rückblickend spricht Jürgen Quandt von einem denkwürdigen "Jubiläum": Vor 25 Jahren begann in seiner Kreuzberger Gemeinde das bundesweit erste Kirchenasyl und damit die Wiederentdeckung einer "besonderen Form christlichen Beistands für Menschen in Not", wie es der heute 64-jährige Pfarrer nennt.

Drei palästinensische Familien fanden im Herbst 1983 in den Räumen der Heilig-Kreuz-Gemeinde Zuflucht. Sie sollten in den vom Bürgerkrieg zerrissenen Libanon abgeschoben werden. Nur wenige Wochen zuvor war Cemal Altun, politischer Flüchtling aus der Türkei, aus Angst vor einer Abschiebung aus dem sechsten Stockwerk des Berliner Verwaltungsgerichts in den Tod gesprungen.

Altuns Selbsttötung setzte die Frage nach dem Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland endgültig auf die politische Tagesordnung. Das Eintreten der Kirchengemeinde für eine humanitäre Lösung gegen erheblichen Widerstand in der Politik führte schließlich zu einem Abschiebestopp in den Libanon. Bis heute haben nach Angaben der 1994 gegründeten Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche mehr als 3.000 Menschen Schutz vor Abschiebung in Kirchen, Klöstern und Gemeindehäusern gefunden.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft spricht inzwischen von einer "Institutionalisierung" des Kirchenasyls. 30 bis 60 Fälle werden pro Jahr gezählt, die meisten in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Berlin. Das Kirchenasyl wird Menschen gewährt, denen bei Abschiebung Folter, Tod oder "nicht hinnehmbare soziale, inhumane Härten" drohen. Nur selten dringt die Polizei gewaltsam in die kirchlichen Rückzugsräume ein.

Dennoch ist die Praxis, zeitlich befristet Flüchtlinge ohne legalen Aufenthaltsstatus aufzunehmen, umstritten. Mit Ermittlungsverfahren etwa wegen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt und Strafgeldern muss gerechnet werden. Für Quandt gilt: "Die Kirchengemeinde will nur, dass geltendes Verfassungsrecht, in dessen Mittelpunkt die Wahrung der Menschenwürde steht, zur vollen Durchsetzung gelangt." Es gehe schlicht um einen "Zeitaufschub": Kirchenasyl als letzte Möglichkeit, die greift, wenn Flüchtlingen kein Rechtsschutz gewährt wird, obwohl eine Klage vor einem Gericht noch läuft.

Während der EKD-Ratsvorsitzende und Berliner Bischof Wolfgang Huber 2003 Kirchenasyl als einen "Dienst am Rechtsstaat" bezeichnete, der keinen Bruch geltender Gesetze bedeutet, taten sich Kirchenleitungen in den 80er Jahren noch mit dieser Form des zivilen Ungehorsams schwer. So provozierte Altbischof Kurt Scharf (1902-1990) heftigen Widerspruch mit seiner Forderung, "notfalls von der Abschiebung Bedrohte in unseren Gemeinden aufzunehmen, auch zu verstecken". Wer dafür bestraft werde, "leidet um einer höheren christlichen Gerechtigkeit willen und dient der Sache des Rechts", sagte Scharf 1987 und erinnerte an die Bekennende Kirche in der NS-Zeit.

25 Jahre nach dem ersten Kirchenasyl haben sich angesichts drastisch gesunkener Flüchtlingszahlen die Aufgaben der kirchlichen Flüchtlingsarbeit verändert. "Es gibt faktisch kaum noch eine legale Möglichkeit, Deutschland zu erreichen", so der für sein Engagement mit dem Georg-Elser-Preis ausgezeichnete Quandt. "Die Tragödien spielen sich nicht mehr wie in den 80er und Anfang der 90er Jahre vor unserer Haustür ab, sondern an den EU-Außengrenzen, im Mittelmeer und im Atlantik, wo Tausende in den letzten Jahren ertrunken sind."

Dadurch fänden zunehmend auch Migranten ohne Papiere in Notsituationen wie Obdachlosigkeit vorübergehend Zuflucht in Gastwohnungen von Gemeinden, erklärt Quandt. Zum anderen stelle er fest, dass immer weniger Kirchengemeinden überhaupt mit Flüchtlingen und illegalen Migranten arbeiten.

Auf einer Tagung zum Kirchenasyl-Jubiläum sollen ab Freitag in Berlin künftige Strategien diskutiert werden. Hintergrund sind neue asylpolitische EU-Richtlinien und das Auslaufen der Bleiberechtsregelung im kommenden Jahr in Deutschland. Das Treffen findet am historischen Ort in der Heilig-Kreuz-Kirche statt. Auch Quandt hat hier sein Büro in einer Seitenempore. Zwischen Himmel und Erde sitzend koordiniert er von hier aus als Vorsitzender des Vereins Asyl in der Kirche die Flüchtlingsarbeit in Berlin.

06. November 2008

25 Jahre Kirchenasyl in Deutschland