Kirchen: November-Pogrome stehen für Erblinden des Gewissens

Hannover/Bonn (epd). Zum 70. Jahrestag der November-Pogrome 1938, die der jüdischen Bevölkerung galten, haben die beiden großen Kirchen die "Sünde der Gleichgültigkeit" gegenüber dem Leid anderer gerügt. Ohne praktische Solidarität mit den zu Unrecht Verfolgten und mit Opfern von Gewalt liefe die Erinnerung an die Reichspogromnacht 1938 ins Leere, schreiben der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, und der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofkonferenz, Robert Zollitsch, in einer gemeinsamen Erklärung. Darin heißt es: "Leider sind Antisemitismus und Rassismus auch heute nicht überwunden."

Der 9. November 1938 stehe für Hass und Gewalt, für Niedertracht und Erblinden des Gewissens, schreiben die Bischöfe. Für die deutschen Juden habe er bedeutet, "dass sie keine sichere Heimstatt im eigenen Land mehr besaßen". Wehrlose Menschen seien gedemütigt, gepeinigt und ermordet, Gotteshäuser geschändet und zerstört worden. Die Lehre aus den schrecklichen Bildern von brennenden Synagogen laute: "Wo es keinen Respekt vor dem Heiligen und dem für den menschlichen Zugriff Unverfügbaren gibt, dort gibt es auch keinen Respekt vor den Menschen."

Die November-Pogrome markierten den Auftakt zum Holocaust. Die systematische Verfolgung und Ermordung der Juden stellten ein beispielloses Menschheitsverbrechen dar. "Ihr Leiden, ihre Einsamkeit und ihre Verzweiflung angesichts der Gewaltmaschinerie, die mit Demütigung und Entrechtung begann und mehr und mehr von absolutem Vernichtungswillen angetrieben wurde, erfüllen uns mit Bestürzung und Trauer", heißt es in der Erklärung.

Das Kirchen-Wort geht auch auf das damalige Versagen der deutschen Bevölkerung und der Kirchen ein. Es habe viel schweigendes Zuschauen und achselzuckendes Hinnehmen gegeben. Nicht wenige seien durch den staatlichen verordneten Terror irritiert worden. Eine grundsätzliche Erschütterung des Vertrauens in den nationalsozialistischen Staat sei damit nicht verbunden gewesen. "Und es gab auch die - gerade auch in den christlichen Kirchen -, die die Gewalttaten entschieden ablehnten, jedoch in Furcht und einem Gefühl der Ohnmacht verharrten."

Als Gegenbeispiele erinnern die Kirchen an den katholischen Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg und den evangelischen Pfarrer Helmut Gollwitzer, die verfolgten Juden unterstützten. "Das Zeugnis dieser und anderer Christen und Kirchenvertreter kann das Verzagen oder Versagen anderer nicht zudecken", so die Bischöfe.

07. November 2008

Die gemeinsame Erklärung im Wortlaut

Grußwort des EKD-Ratsvorsitzenden zur Eröffnung der Ausstellung „ getauft – verstoßen – deportiert“ in der Evangelischen Kirchengemeinde St. Thomas, Berlin

Ansprache des EKD-Ratsvorsitzenden zum Gedenkweg der Kirchen zum 70. Jahrestag der Pogromnacht, Berlin

Predigt des EKD-Ratsvorsitzenden in St. Marien, Berlin