Islamexperte: Christen werden zum Aufbau des Irak gebraucht

Augsburg (epd). Im Irak ist ohne Christen nach Ansicht des Islamwissenschaftlers Udo Steinbach eine Modernisierung des Staates nicht möglich. Irakische Intellektuelle warnten davor, dass Christen als Kontingentflüchtlinge nach Europa auswandern, berichtete der Professor am Dienstagabend vor der "Interkulturellen Akademie Augsburg".

"Wenn Christen versammelt gehen, brechen die Brücken zwischen Europa und dem Nahen Osten", sagte Steinbach, der lange Jahre das Deutsche Orientinstitut in Hamburg leitete. Sie würden für den Aufbau des Landes gebraucht. Steinbach forderte die Politik auf, die Frage Christen im Irak als sachliches Thema der Außenpolitik zu behandeln, "so wie wir uns auch für andere Minderheiten stark machen". Seit 2003 sind nach Angaben von Flüchtlingsbetreuern der Caritas 600.000 von 1,2 Millionen Christen aus dem Land geflohen. Christen sind im Irak eine Minderheit.

Vor der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hatte vor wenigen Tagen Bischof Wolfgang Huber an die Bundesregierung appelliert, noch in diesem Jahr die Aufnahme irakischer Flüchtlinge in Deutschland im Rahmen eines Resettlement-Programms zuwege zu bringen". Der Irak, über Jahrhunderte Heimat von Christen, werde durch Mord und Bedrohung systematisch von Christen entvölkert. Ihnen müsse eine Zukunft geboten werden. Darstellungen der irakischen Führung, wonach sich die Sicherheitslage verbessert habe, hielt Huber entgegen, dass allein aus der nordirakischen Stadt Mossul in den vergangenen Wochen Tausende Christen aus Angst um ihr Leben geflohen sind.

Kritik übte Steinbach an der "stillen Diplomatie" der Kirchen. Die radikalen Angriffe auf Christen im Irak schafften große Probleme, räumte Steinbach ein. Allerdings sei antichristlicher Fundamentalismus ein "relativ neues Phänomen" und Ausdruck gesellschaftlicher Krisen im Mittleren Osten. Gewalt gegen Christen sei auch eine Reaktion auf das Wirken fundamentalistischer US-Missionare im Irak, sagte der Professor. "Christen müssen im Land bleiben, aber sie dürfen auf keinen Fall missionieren." Verfolgung von Christen wie im Irak befürchtet der Islamwissenschaftler auch in Syrien, "wenn der Übergang zu einem demokratischen Land nicht gelingt".

12. November 2008


Bundesregierung: Rückkehr von Irak-Flüchtlingen noch unmöglich

Erneut Christen getötet

Steinbach: Ohne Christen keine Modernisierung des Staates möglich

Berlin/Rom/Frankfurt a.M. (epd). Trotz verbesserter Sicherheitslage sollen Flüchtlinge aus dem Irak nach Ansicht der Bundesregierung noch nicht zur Rückkehr in ihr Land ermutigt werden. Es sei für sie problematisch, Arbeitsplätze und erschwingliche Unterkünfte zu finden sowie Zugang zu staatlichen Hilfsorganisationen zu erhalten, heißt es in einer am Mittwoch in Berlin veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion.

Unterdessen sind in der nordirakischen Stadt Mossul erneut zwei Christen getötet worden. Wie der katholische Nachrichtendienst Asianews aus Rom berichtete, erschoss eine Gruppe junger Männer am Mittwoch zwei Schwestern, die der syrisch-katholischen Kirche angehörten. Danach hätten sie eine Bombe vor dem Haus gezündet, die zwei Polizisten getötet und mehrere Menschen verletzt hätte, hieß es unter Berufung auf Augenzeugen.

Im Irak ist ohne Christen nach Ansicht des Islamwissenschaftlers Udo Steinbach eine Modernisierung des Staates nicht möglich. Irakische Intellektuelle warnten davor, dass Christen als Kontingentflüchtlinge nach Europa auswandern, berichtete der Professor am Dienstagabend vor der "Interkulturellen Akademie Augsburg". "Wenn Christen versammelt gehen, brechen die Brücken zwischen Europa und dem Nahen Osten", sagte Steinbach, der lange Jahre das Deutsche Orientinstitut in Hamburg leitete. Sie würden für den Aufbau des Landes gebraucht. Seit 2003 sind nach Angaben von Flüchtlingsbetreuern der Caritas 600.000 von 1,2 Millionen Christen aus dem Land geflohen. Christen sind im Irak eine Minderheit.

Nach Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) hat sich die Versorgungslage im Irak erheblich verbessert. 2005 hätten noch vier Millionen Iraker gehungert, im vergangenen Jahr seien es nur noch knapp eine Million gewesen, teilte die UN-Organisation am Mittwoch in Rom mit. "930.000 sind aber noch immer viel zu viele für ein relativ reiches Land", betonte der WFP-Verantwortliche für den Irak, Edward Kallon.

6,4 Millionen Iraker könnten sich überdies nicht selbst versorgen, sondern seien von staatlichen Nahrungsmittelrationen abhängig, hieß es weiter. In fünf irakischen Regionen herrscht nach Angaben des Welternährungsprogramms "alarmierende" Unterernährung bei Kindern im Alter unter fünf Jahren. Das WFP versorgt 750.000 der insgesamt 1,5 Millionen Binnenflüchtlinge im Irak, die keinen Zugang zu staatlichen Essensrationen haben.

Wie die Bundesregierung berichtete, verfügten in Syrien derzeit 1,2 Millionen irakischer Flüchtlinge, die unter der ansässigen Bevölkerung leben, über eine gültige Aufenthaltsgenehmigung. Die Zahl irakischer Flüchtlinge in Jordanien werde auf 200.000 bis 500.000 Personen geschätzt. Sie hielten sich aufgrund abgelaufener Kurzzeitvisa zumeist illegal im Land auf. Die Versorgung der Flüchtlinge werde zunehmend schwerer, und auch die medizinische Betreuung sei unzureichend.

12. November 2008