Evangelische Kirche dringt auf Verbot kommerzieller Sterbehilfe

EKD warnt vor Liberalisierung bei ärztlicher Suizidbeihilfe

Hannover (epd). Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) wendet sich gegen Bestrebungen, ärztlichen Beistand zur Selbsttötung zuzulassen. Eine rechtliche Verankerung der ärztlichen Suizidbeihilfe und die Einschränkung der Garantenpflicht des Arztes seien abzulehnen, stellt der Rat der EKD in einer Orientierungshilfe fest, die am Dienstag in Hannover veröffentlicht wurde. Darin warnt die EKD vor einer "gesellschaftlichen Signalwirkung", die eine Suizidhilfe in die Nähe einer normalen Option am Lebensende rücke. In der Stellungnahme unterstützt die EKD zugleich Initiativen, die kommerzielle Suizidhilfe von Organisationen verbieten wollen.

Hintergrund des EKD-Textes sind aktuelle Fälle von Sterbehilfe und rechtswissenschaftliche Beiträge zum Problem der Selbsttötung. Angesichts dieser Debatten müsse die Kirche "unzweideutig" für den Schutz des menschlichen Lebens und seiner Würde vom Anfang bis zum Ende eintreten, schreibt EKD-Ratsvorsitzender Wolfgang Huber im Vorwort. Huber: "Immer kommt es vielmehr darauf an, Sterbende zu trösten, ihr Leid zu lindern und ihnen Gewissheit zuzusprechen, dass ihr Leben von Gott gewollt und gesegnet ist."

Die Stellungnahme "Wenn Menschen sterben wollen. Eine Orientierungshilfe zum besonderen Problem der ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung" knüpft an den EKD-Text "Sterben hat seine Zeit" (2005) zu Patientenverfügungen an. Wie Tötung auf verlangen sei auch die Beihilfe eines Arztes bei einer Selbsttötung ethisch nicht zu rechtfertigen. Bei der assistierten Suizidhilfe gerate das Gebot, die Selbstbestimmung zu respektieren, in Konflikt mit der ärztlichen Pflicht, Leben zu erhalten, heißt es in der Schrift. Aus ethischer Sicht müsse diese ärztliche Pflicht Vorrang haben.

Eine Absage erteilt die evangelische Kirche deshalb allen Überlegungen, die Pflicht des Arztes zur Rettung von Leben rechtlich zu begrenzen. Auch Straffreiheit für ärztliche Hilfe beim Suizid, wie sie etwa der Juristentag oder Mitglieder des Nationalen Ethikrates unter bestimmten Bedingungen ins Gespräch gebracht hatten, wird abgelehnt. Dagegen wird eingewandt, dies erhöhe den Druck, Belastungen durch langwierige Pflege bei schwerer Erkrankung zu ersparen.

Bei einer Liberalisierung wäre nicht nur "Heilung, Linderung und Begleitung, sondern auch Beihilfe zur Beendigung des Lebens" Aufgabe des Arztes, argumentiert die EKD. Stattdessen verweist das Dokument auf den Handlungsspielraum, den die Rechtssprechung Ärzten in Konflikten eröffnet habe. In diesen Einzelfällen gehe es um eine "schwierige Gratwanderung", die den Betroffenen, der Gewissensentscheidung der Ärzte und dem ärztlichen Berufsethos Rechnung tragen müsse.

"Uneingeschränkte Unterstützung" äußert der EKD-Text für politische Initiativen, kommerzieller Suizidhilfe einen rechtlichen Riegel vorzuschieben. Sterbehilfeorganisationen nach Schweizer Vorbild sollten verboten werden, empfiehlt die evangelische Kirche. In dem EKD-Dokument wird gewarnt, Beihilfe zur Selbsttötung werde dann nicht mehr im Einzelfall geleistet, sondern zum "Dienstleistungsangebot", das von jedem gekauft werden könne.

Am Wochenende war bekanntgeworden, dass sich die Justizminister der unionsgeführten Länder auf einen neuen Vorschlag für ein Verbot von Suizidhilfe-Organisationen verständigt haben. Danach soll mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren belangt werden, wer "ein Gewerbe betreibt oder eine Vereinigung gründet, deren Zweck oder Tätigkeit darauf gerichtet ist, anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung zu geben oder zu verschaffen und für diese öffentlich wirbt".

18. November 2008

EKD-Pressemitteilung

EKD-Text 97 "Wenn Menschen sterben wollen. Eine Orientierungshilfe zum besonderen Problem der ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung" als pdf


Klares Nein zu ärztlicher Suizidbeihilfe

EKD macht sich für rasches Verbot von Sterbehilfeorganisationen stark

Von Rainer Clos (epd)

Frankfurt a.M. (epd). "Menschen sollten an der Hand eines Menschen sterben - nicht durch die Hand des Menschen." Mit diesem Bild warb Bundespräsident Horst Köhler dafür, dass sich die gesamte Gesellschaft für ein Sterben in Würde einsetzt. Dennoch reißt die Debatte über Sterbehilfe nicht ab. Dafür sorgen öffentlichkeitswirksame Vorstöße von kommerziellen Sterbehilfeorganisationen oder Einzelpersonen. Der umstrittene Hamburger Ex-Senator Roger Kusch hat vor wenigen Tagen publik gemacht, wie er einen 94 Jahre alten Mann in Frankfurt beim Suizid "begleitet" hat. Es werden Maschinen zur Selbsttötung angeboten. Über das Internet können sogenannte Exit Bags erworben werden, die einen humanen Tod versprechen.

Immer mehr alte Menschen ohne lebensgefährliche Erkrankung wenden sich an Sterbehilfeorganisationen, ergab eine aktuelle Schweizer Studie. Lebensmüdigkeit und ein schlechter Gesundheitszustand, so fanden die Wissenschaftler bei der Untersuchung von Zürcher Sterbehilfefällen heraus, seinen immer häufiger das Motiv dafür, sich um Beistand bei der Selbsttötung zu bemühen.

"Gerade angesichts der aktuellen Debatten gilt es, unzweideutig für den Schutz des menschlichen Lebens und seiner Würde vom Anfang bis zum Ende einzutreten", schreibt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, im Vorwort zu der am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme "Wenn Menschen sterben wollen - Eine Orientierungshilfe zum Problem der ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung". Neben standesethischen, rechtlichen und ethischen Erwägungen wird in dem 35 Seiten umfassenden Text aus der "Kammer für öffentliche Verantwortung", einem aus Theologen, Juristen, Politikern und Medizinern bestehenden Beratungsgremium der EKD-Spitze, auch die Praxis der Suizidbeihilfe in der Schweiz berücksichtigt.

Die EKD-Schrift erinnert daran, dass es einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, Selbsttötungen nach Möglichkeit zu verhindern. Nachdem es in jüngster Zeit sowohl vom Deutschen Juristentag und aus dem Nationalen Ethikrat Empfehlungen gab, die ärztliche Mitwirkung bei einem Suizid unter bestimmten Voraussetzungen zu erlauben, stellt die EKD nunmehr klar: Eine rechtliche Einschränkung der Pflicht des Arztes, Leben zu erhalten und zu retten, sei ebenso abzulehnen wie eine rechtliche Verankerung der ärztlichen Suizidhilfe. Selbsttötung rücke sonst in die Nähe einer "normalen Option" am Lebensende. Die Haltung der Gesellschaft zu Leben und Tod könne sich dadurch grundlegend ändern. Dann könnte der Druck wachsen, diese Option zu wählen, um Angehörigen nicht mit langwieriger Pflege bei schwerer Krankheit zu belasten.

Bei einer Liberalisierung wäre nicht nur "Heilung, Linderung und Begleitung, sondern auch Beihilfe zur Beendigung des Lebens" Aufgabe des Arztes, argumentiert die evangelische Kirche. Stattdessen verweist sie auf den Handlungsspielraum, den die Rechtssprechung Ärzten in Konfliktsituationen eröffnet habe. In diesen Einzelfällen gehe es um eine "schwierige Gratwanderung", die den Betroffenen, der Gewissensentscheidung der Ärzte und dem ärztlichen Berufsethos Rechnung tragen müsse.

Beim Umgang der Ärzte mit dem Sterben komme es auf verantwortliche Abwägung und die besonderen Umstände in jedem Einzelfall an. "Würde man für solche Fälle allgemeine Regeln aufstellen, so hätte dies gravierende Folgen für das ethische Bewusstsein insgesamt, da dadurch der Ausnahmefall zum Regelfall gemacht würde", wird in der Orientierungshilfe eine Öffnung für ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung abgelehnt.

Zugleich unterstützt die evangelische Kirche politische Initiativen, die auf eine Verbot geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe abzielen. Durch das Auftreten von Sterbehilfeorganisationen nach Schweizer Vorbild, so gibt die EKD zu Bedenken, sei Beihilfe zum Suizid kein Einzelfall mehr. Vielmehr handele es sich dann um ein käufliche Dienstleistung. Derartigen Tendenzen sollte möglichst rasch ein rechtlicher Riegel vorgeschoben werden, empfiehlt die Kirche den Politikern.

18. November 2008