Kirchen und Bundespolitiker begrüßen Erfolg von "Pro Reli"

Appelle an den Berliner Senat - Bereits 195.000 für Anliegen des Volksbegehrens -

Berlin/Frankfurt a.M. (epd). Nach dem Erfolg der Initiative "Pro Reli" haben Kirchen und Bundespolitiker den Berliner Senat aufgefordert, dem Votum Rechnung zu tragen. Die Kirchenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion Kerstin Griese sagte am Freitag dem epd, beide Seiten sollten versuchen, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Erzbischof Robert Zollitsch mahnte, die Politik müsse nun dem eindeutigen Bürgervotum gerecht werden.

Die Initiative "Pro Reli" hat nach eigenen Angaben wenige Tage vor Ablauf der Frist am 21. Januar bereits 195.000 Unterschriften gesammelt. Notwendig für einen Volksentscheid sind rund 170.000 Unterschriften. Über die Gültigkeit der Unterschriften muss der Landeswahlleiter bis 5. Februar entscheiden. Wenn es zu keiner einvernehmlichen Lösung kommt, werden die Berliner in der nächsten Stufe vermutlich am 7. Juni parallel zur Europawahl auch über den Religionsunterricht abstimmen. Das Volksbegehren, das von den Kirchen unterstützt wird, strebt eine Gleichstellung des bislang freiwilligen Religionsunterrichts mit dem Pflichtfach Ethik an, das 2006 in Berlin eingeführt wurde.

"Da wir mehr als 195.000 Stimmen haben, sind wir sicher, dass wir, selbst wenn einige ungültig sind, das Ziel von 170.000 gültigen Stimmen erreicht haben", sagte "Pro Reli"-Sprecher Christoph Lehmann der "Berliner Morgenpost" (Freitagsausgabe). Die beim Volksentscheid notwendige Zahl von 609.000 Ja-Stimmen werde zu einer "großen Herausforderung". Im ZDF-"heute journal" sagte Lehmann am Donnerstagabend, die Initiative wolle mit dem Parlament noch vor einem möglichen Volksentscheid ins Gespräch zu kommen. Dem erteilte der Berliner SPD-Fraktions- und Landeschef Michael Müller eine Absage. Gegenüber epd sagte er: "Wir halten einen gemeinsamen Ethikunterricht für so wichtig, dass wir nicht davon abrücken wollen."

Erzbischof Zollitsch sprach von einem "großartigen Erfolg" zugunsten der Gleichstellung des Religionsunterrichtes. Die Berliner Bürger hätten für die Religionsfreiheit in der Schule gestimmt, sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Damit hätten sie unterstrichen, dass Religionsunterricht gerade in einer religiös und weltanschaulich pluralen Stadt ein unverzichtbares Bildungsangebot sei: "Sie haben sich deshalb für Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach eingesetzt."

Wie Zollitsch würdigte auch der Berliner evangelische Bischof Wolfgang Huber den Ausgang des Volksbegehrens als Erfolg. Im ZDF sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland am Donnerstag, er hoffe, dass bis zum Stichtag noch deutlich mehr Unterschriften erreicht würden. Auch die Vorsitzende der Berliner Jüdischen Gemeinde, Lala Süsskind, zeigte sich "sehr erfreut" über die hohe Beteiligung. "Wir leben in einer Demokratie", sagte sie dem epd, deshalb sei sie für die Wahlfreiheit zwischen Religionsunterricht und Ethik.

Die Kirchenbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ingrid Fischbach, sagte, das vorläufige Ergebnis sei ein Gewinn für die Demokratie. "Jetzt können die jungen Menschen selbst wählen, ob sie einen konfessionellen Religionsunterricht besuchen möchten", ergänzte die katholische CDU-Politikerin. Der FDP-Abgeordnete Hans-Michael Goldmann sprach von einem positiven Signal. Es dokumentiere das große Mobilisierungspotenzial der Forderung nach Gleichstellung des Religionsunterrichts.

Das Volksbegehren zeige, sagte die SPD-Politikerin Griese, dass auch die Menschen in der als "religionslos" geltenden Hauptstadt wollten, "dass es Religionsunterricht gleichberechtigt zum Ethikunterricht gibt". Alle Schüler müssten wählen können, ob sie in den katholischen, evangelischen, jüdischen oder islamischen Unterricht gehen oder das Fach Ethik wählen, ergänzte Griese. Der religionspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Josef Winkler, forderte den rot-roten Senat auf, die Dialogverweigerung zu beenden und konstruktive Gespräche mit den Initiatoren des Volksbegehrens aufzunehmen. Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus haben bislang die Haltung des Senats unterstützt. Der Senat wird nach eigenen Angaben demnächst über den endgültigen Termin des Volksentscheids entscheiden.

Der kirchenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Bodo Ramelow, lehnt das Anliegen von "Pro Reli" ab, begrüßte aber den Erfolg der Unterschriftensammlung. Die "Pro Reli"-Initiative fördere eine dringend notwendige Debatte darüber, wie der Religionsunterricht in der Bundesrepublik weiterentwickelt werden müsse. Den Kirchen warf der Bundestagsabgeordnete vor, sie gäben keine Antwort darauf, wie mit dem islamischen Religionsunterricht umgegangen werden solle. Ramelow geht nicht davon aus, dass der Berliner Senat sich mit der "Pro Reli"-Initiative verständigen wird. Auch einem Volksentscheid räumt er keine Erfolgsaussichten ein.

Mit Blick auf die massive Unterstützung des Volksbegehrens durch die beiden großen Kirchen warf der Verfassungsrechtler Bernhard Schlink ihnen vor, ihre Integrität beschädigt zu haben. "Worauf sich die Kirchen in Berlin eingelassen haben, sind weder Anstöße zum Denken und Handeln noch Verpflichtungen auf das Bekenntnis", schrieb er in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Freitagsausgabe).

16. Januar 2009