Staatsakt und zentrale Trauerfeier für die Amokopfer von Winnenden

Winnenden/Stuttgart (epd). Eineinhalb Wochen nach dem Amoklauf von Winnenden und Wendlingen wird am Samstag der Opfer mit einem Staatsakt und einer zentralen Trauerfeier gedacht. Die Kleinstadt bei Stuttgart erwartet rund 30.000 Trauergäste, darunter Bundespräsident Horst Köhler, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (alle CDU). Den ökumenischen Gottesdienst gestalten der württembergische evangelische Landesbischof, Frank Otfried July, und der katholische Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst.

Die Trauerfeier findet um 11 Uhr in der katholischen Sankt Karl-Borromäus-Kirche in Winnenden statt. Die Trauerfeierlichkeiten werden zudem in Hallen und Kirchen in den umliegenden Gemeinden sowie in Stuttgart auf Großbildleinwänden übertragen. Außerdem soll die Trauerfeier in der Stuttgarter Domkirche Sankt Eberhard und der evangelischen Stiftskirche übertragen werden.

An den zentralen Gedenkgottesdienst schließt sich ein Staatsakt mit Ansprachen von Bundespräsident Köhler und Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) an. Die Deutsche Bahn wird verschiedene Stadtbahnlinien von Stuttgart aus im 15-Minuten-Takt nach Winnenden fahren lassen und mit angekoppelten Zugwagen aufstocken, um die erwartete Menschenmasse nach Winnenden zu fahren. Bereits am Mittwoch dieser Woche hatten der Bundestag und das Land Baden-Württemberg mit einer Schweigeminute der Opfer gedacht. Daran hatten der Landtag, viele Schulen und Behörden sowie Unternehmen teilgenommen, Stadt- und Straßenbahnen standen eine Minute still, private und öffentliche Rundfunksender unterbrachen ihr Programm. Bei dem Amoklauf von Winnenden und Wendlingen hatte ein 17-jähriger ehemaliger Schüler der Albertville-Realschule in Winnenden am 11. März 15 Menschen getötet. Bei seiner anschließenden Flucht nahm sich der Täter selbst das Leben.

20. März 2009



"Wo warst du, Gott?" - Nach dem Amoklauf von Winnenden ringen Theologen um eine Antwort

Von Christine Süß-Demuth (epd)

Karlsruhe (epd). Auch wenn der Amoklauf von Winnenden vor mehr als einer Woche geschehen ist, stellen viele Menschen immer noch die Frage "Wo warst du, Gott?". Wo war Gott am 11. März, als ein 17-Jähriger 15 Menschen tötete, bevor er sich selbst das Leben nahm? Eine Frage, die auch im Meer der Trauer-Kerzen vor der Albertville-Realschule in Winnenden in der Nähe Stuttgarts auf einem Schild formuliert war.

Der badische evangelische Landesbischof Ulrich Fischer ist überzeugt davon, dass Gott dem Menschen, eben auch dem Täter, Freiheit zum Handeln geschenkt hat. Der Amoklauf sei eine Tat "missbrauchter Freiheit". Zu fragen sei, welche Lebenserfahrungen den Täter so weit gebracht haben, dass er "jeden Maßstab des Humanen in Wahrnehmung seiner Freiheit verloren hat".

Die Gesellschaft müsse sich fragen, ob sie nicht junge Menschen überfordert, indem sie immer wieder neue Freiheitsräume eröffne, die ständigen Entscheidungsstress zur Folge haben, so Fischer. Auch wenn sich Menschen fern von Gott fühlten, bleibe Gott ihnen treu.

Der Bischof der katholischen Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, kann angesichts der schrecklichen Ereignisse nachvollziehen, dass viele Menschen mit Gott hadern, an ihm zweifeln oder gar verzweifeln. Dabei sei es wichtig die eigene Hilflosigkeit einzugestehen und gemeinsam mit anderen auszuhalten.

Andererseits könne der Glaube gerade in solchen Extremerfahrungen Kraft und Trost erweisen. Mit dem gekreuzigten Jesus sei Gott auch in der tiefsten Finsternis bei uns. "Ich kann nur hoffen und darum beten, dass die zutiefst verstörten Menschen wieder zu einem solchen Vertrauen finden", sagte Fürst.

Der Bischof der württembergischen evangelischen Landeskirche, Frank Otfried July, erklärte, dass auch Jesus Christus am Kreuz die Gottverlassenheit spürte. Er habe das Gefühl gekannt, alleingelassen zu sein. Hinter dem Kreuz deutete sich allerdings auch schon die Osterverheißung an, die Auferstehung von den Toten. Manche Menschen in Winnenden hätten bei aller Klage und Trauer in den Gottesdiensten gespürt, dass Gott für sie da sein möchte.

Die Frage nach der Gottverlassenheit während des Amoklaufs hat der Senderbeauftragte der katholischen Kirche im Südwestrundfunk (SWR), Peter Kottlorz, zwiespältig beantwortet. "Ich denke, glaube, hoffe, dass dieser Gott, den wir den Liebenden nennen, in den Stunden der größten Angst und Not bei uns ist", sagte Kottlorz in der Sendung Morgengedanken bei SWR 4. Allerdings könnten Menschen in eine furchtbare Gottverlassenheit geraten.

Die schreckliche Seite der Freiheit der Menschen sei, wenn diese freiwillig-böswillig oder durch seelische Not so außer sich geraten, dass sie sich aus dem Bereich des Göttlichen herauskatapultieren. Die schöne Seite der Freiheit des Menschen sei die mitfühlende, die tröstende, die liebende. "Ihre sanfte Kraft wird stärker sein als die schreckliche", ist Kottlorz überzeugt.

20. März 2009