Zeichen für Reformfähigkeit

Nordkirchen-Beschluss bewegt abermals protestantische Kirchenlandschaft

Frankfurt a.M. (epd). "Wir erleben in der Evangelischen Kirche in Deutschland derzeit beachtliche Vorgänge der Neuordnung", sagte Bischof Wolfgang Huber jüngst in einer Predigt im Berliner Dom. Im Blick hatte der EKD-Ratsvorsitzende dabei vor allem die am Samstag (28. März) anstehende Entscheidung der mecklenburgischen, nordelbischen und pommerschen Synoden über die zuletzt umstrittene Fusion ihrer Landeskirchen. Für die Nordkirche, die seit Herbst 2007 von den Kirchenleitungen vorangetrieben wird, schlägt dann die Stunde der Wahrheit.

Billigen die Kirchenparlamente den nachgebesserten Fusionsvertrag, dann wird voraussichtlich 2012 aus den drei unterschiedlichen Landeskirchen eine gemeinsame Kirche entstehen. Mit 2,5 Millionen Mitgliedern wäre die Nordkirche, die sich von der dänischen bis zur polnischen Grenze entlang der Ostsee erstreckt und drei Bundesländer umfasst, eine der mitgliederstärksten und auch flächenmäßig größten unter den derzeit 22 evangelischen Landeskirchen.

Viele Christen in ganz Deutschland hofften auf ein weiteres Zeichen für die Reformfähigkeit des deutschen Protestantismus, warb Huber um Zustimmung für die Nordkirche, die 20 Jahre nach dem Mauerfall erstmals einen Zusammenschluss von Kirchen aus Ost und West markieren würde. Vorangegangen waren Fusionserwägungen zwischen den beiden kleinen ostdeutschen Landeskirchen von Pommern (100.000 Mitglieder) und Mecklenburg (200.000 Mitglieder), die in eine Sackgasse geführt hatten.

Das Projekt Nordkirche zeigt zugleich, dass in der historisch gewachsenen Kirchenlandschaft des deutschen Protestantismus derzeit viel in Bewegung ist. Gerade vor drei Monaten wurde nach langer Anlaufphase die Fusion der Thüringer Kirche und der Kirchenprovinz Sachsen zur Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland mit rund 900.000 Mitgliedern besiegelt. Zwei nahezu gleich große Landeskirchen - die eine uniert, die andere lutherisch - beschlossen im zweiten Anlauf, ihre Strukturen zusammenzulegen und Aufgaben gemeinsam zu erledigen.

Fünf Jahre zuvor kam es bereits nach längerem Ringen zu einer Neugliederung der östlichen Kirchen. Zum 1. Januar 2004 schlossen sich die Berlin-Brandenburgische Kirche und die Kirche der schlesischen Oberlausitz zur Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz mit rund 1,2 Millionen Mitgliedern zusammen.

Davor fand die letzte Korrektur auf der Landkarte des protestantischen Föderalismus 1977 statt. In einer Phase, in der Gebietsreformen auf kommunaler Ebene gang und gebe waren, entstand die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche. Sie vereinte die große Landeskirche von Schleswig-Holstein, die Stadtkirchen von Lübeck und Hamburg, die Landeskirche Eutin und den zu Hannover gehörenden Kirchenkreis Harburg zu einer Landeskirche.

Drei Jahrzehnte später sorgte ein brisantes Impulspapier aus der EKD-Zentrale für einen wahren Tabubruch in der Neugliederungsdebatte. Unter dem Eindruck sich abzeichnender Mitgliederrückgange und Finanzeinbußen empfahl das Papier "Kirche der Freiheit" 2007 eine radikale Verringerung der Zahl der Landeskirchen: von acht bis zwölf Landeskirchen im Jahr 2030 ist darin die Rede. Aus den kleinen Landeskirchen gab es massive Kritik, die EKD wurde "römischer" Zentralisierungstendenzen geziehen.

Um das Reformvorhaben insgesamt nicht zu gefährden, ruderten die EKD-Repräsentanten zurück und stellten klar, dass nur die Landeskirchen selbst entscheiden können, wie sie sich für die Zukunft aufstellen. Die Klarstellung, dass nicht die EKD-Zentrale, sondern allein die Landeskirchen Herren des Verfahrens über regionale Zusammenschlüsse sind, trug zur Entkrampfung von Fusionsüberlegungen bei.

Jüngstes Beispiel dafür sind die bemerkenswerten Avancen in Niedersachsen. Als Lebensform sei Kleingliedrigkeit unverzichtbar, nicht aber bei Verwaltungsstrukturen, warb der Braunschweiger Landesbischof Friedrich Weber Mitte März vor der Synode der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen. Die Konföderation sah schon bei der Gründung 1971 die Option vor, die beteiligten fünf Landeskirchen zu vereinen.

Bis September wollen nun die vier lutherischen Landeskirchen Oldenburg, Hannover, Braunschweig und Schaumburg-Lippe sowie die Evangelisch-reformierte Kirche Leer, die schon auf vielen Ebenen zusammenarbeiten, im Grundsatz entscheiden, ob sie Kurs auf eine große niedersächsische Landeskirche nehmen. "Die hannoversche Landeskirche ist bereit, auch mit den kleineren Kirchen auf Augenhöhe zu sprechen, von uns kommt kein Druck", signalisierte Bischöfin Margot Käßmann Sympathie für den neuen Horizont. Von Rainer Clos (epd)

26. März 2009