Bundestagsabgeordnete: Ein Abschluss eigener Art

Andacht für die ausscheidenden Bundestags-Abgeordneten am letzten Sitzungstag

Berlin (epd). Die Morgensonne scheint in den Reichstag, und es ist angenehm ruhig. Die geschäftige Betriebsamkeit, die den letzten Sitzungstag des Parlaments kennzeichnen wird, hat noch nicht eingesetzt. Die Glocken des Kölner Doms schallen sanft und beruhigend tief durch die Gänge. Von Band nur. Feierlich stimmen sie trotzdem.

An diesem frühen Freitagmorgen versammeln sich an die 20 Abgeordnete im ersten Stock auf der Südseite des Reichstags, in der kleinen Kapelle. Zwischen den hohen Stuhllehnen lugen ergraute Köpfe hervor. Die Parlamentarier haben sich zu einem Abschluss ganz eigener Art eingefunden, zu einer ökumenischen Dank- und Segensandacht.

Etwas mehr als 100 Bundestagsabgeordnete treten nicht wieder zur Wahl an. Für einige geht damit ein langer Lebensabschnitt zu Ende. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck war 29 Jahre im Bundestag, Ilse Falk, Parlamentarische Geschäftsführerin in der Unionsfraktion, 19 Jahre. Einige stellen sich aus Altersgründen nicht zur Wiederwahl, andere wollen in die Landespolitik wechseln oder neue Aufgaben übernehmen.

"Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott", singen sie gemeinsam in dem modernen Andachtsraum. Der Kirchenbrauch, zu besonderen Anlässen einen Segen zu erhalten, kam der früheren Familienministerin Renate Schmidt (SPD) wieder in den Sinn, als im Januar der Bevollmächtigte der Evangelischen Kirchen in Deutschland bei der Bundesregierung, Stephan Reimers, mit einem Segensgottesdienst verabschiedet wurde. Schmidt sprach Reimers' Nachfolger Bernhard Felmberg an, der nicht lange zögerte und gemeinsam mit seinem katholischen Pendant Karl Jüsten die Abgeordneten einlud.

Es gebe wohl keine andere Berufsgruppe, die sich alle vier Jahre ihrem Arbeitgeber, nämlich dem Volk, stellen müsse, sagt Jüsten in seiner kurzen Predigt. So gehe für alle Parlamentarier mit einer Bundestagswahl ein Lebensabschnitt zu Ende. Jüsten bezieht damit auch jene ein, die gekommen sind, obwohl sie erneut kandidieren.

Jeder, der möchte, kann nach vorne kommen, und von einem der beiden Geistlichen einen Segen empfangen. Auch einen Segensspruch, einen Bibelvers, gibt es für jeden. "Wir dürfen darauf vertrauen, dass der Segen Gottes auf uns ruhen wird", sagt Jüsten.

Nachdenklich verlassen die Abgeordneten am Ende die Kapelle. Was gab es, bei dem sie sich als Person verkrümmen mussten, hatte Felmberg gefragt. Was haben sie erreicht? "Sie haben viel mehr zustande gebracht, als in der öffentlichen Wahrnehmung sichtbar wurde", hat Jüsten ihnen mit auf den Weg gegeben.

"Der Segen war eine berührende Angelegenheit und hat mir wohl getan." Bodo Ramelow weiß nach vier Jahren, dass es immer noch Erstaunen hervorruft, wenn ein Politiker der Linksfraktion in Gottesdiensten anzutreffen ist. Der 53-Jährige, der Ende August in Thüringen bei der Landtagswahl als Ministerpräsidenten-Kandidat antritt, ist vor allem zur Andacht gekommen, um Dank zu sagen. Die Rolle als religionspolitischer Sprecher der Fraktion habe ihm neue Perspektiven eröffnet. Eine "Suche nach grundlegenden Werten" habe er im Bundestag erlebt. Das hatte Ramelow zuvor nicht erwartet.

Auch die Grünen-Politikerin Uschi Eid ist gekommen. Zu den regulären Andachten im Bundestag sei sie nie gegangen, gibt sie freimütig zu. "Aber wir leben in einer christlichen Kultur und sind als Christen Abgeordnete", sagt sie. Daher bilde die Andacht ein guten Abschluss dieses "Riesenlebensabschnittes". "Das ist etwas anderes, als wenn nur ein Jahr zu Ende geht."

Renate Schmidt ist anzumerken, wie bewegt sie ist. Fünf Legislaturperioden lang hat die 65-jährige Protestantin dem Bundestag angehört. Einen besonderen Abschluss habe sie gesucht. Denn ansonsten sei der letzte Tag wie jeder andere, voller Abstimmungen, Termine. Routine eben.

Während die ehemalige Ministerin noch einmal einen Blick auf ihren Segensspruch wirft, sind die anderen Parlamentarier längst in alle Richtungen entfleucht. Der erste Redner spricht im Plenarsaal. Besuchergruppen strömen durch den Reichstag. Handytelefonate. Saaldiener eilen durch die Gänge. Letzter Sitzungstag, wie immer.

03. Juli 2009