Christlich-Jüdische Zusammenarbeit auf neue Grundlage gestellt

Berlin (epd). 70 Jahre nach Kriegsbeginn haben weltweit die Verbände für christlich-jüdische Zusammenarbeit ihre Arbeit auf eine neue Grundlage gestellt. Vertreter aus 22 Staaten unterzeichneten am Sonntagabend in Berlin zwölf "Berliner Thesen" mit dem Titel "Zeit zur Neu-Verpflichtung". Das Papier hatte der Dachverband von 38 Verbänden, der Internationale Rat der Christen und Juden (ICCJ), vorgelegt. Darin wird vor allem gegenseitiger Respekt sowie die Überwindung von Vorurteilen gefordert.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) würdigte die Verdienste der christlich-jüdischen Zusammenarbeit und forderte, in Zukunft im Dialog der Weltreligionen den Islam stärker einzubeziehen. Dabei stünden die besonderen Beziehungen Deutschlands zu Israel und zum Judentum außerhalb der Diskussion. "Sie sind nicht verhandelbar", sagte Schäuble vor der Unterzeichnung der "Berliner Thesen" in der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, sagte in einer Ansprache, die "Neu-Verpflichtung" sei "alles andere als überflüssig". Der Geist des Antisemitismus sei in Deutschland nicht gänzlich verschwunden. Die Resonanz, die rechtsextreme Parteien jüngst bei der Europawahl erhalten hätten, "muss uns beunruhigen und zu äußerster Wachsamkeit herausfordern".

In den christlich-jüdischen Beziehungen befürfe es guten Willens auf beiden Seiten, um miteinander voranzukommen, betonte Huber. Beide Seiten müssten sich bemühen, die "jeweils eigenen blinden Flecken wahrzunehmen und dem anderen in seiner Andersartigkeit mehr und mehr gerecht zu werden".

Auf die jüngsten Belastungen zwischen Juden und katholischer Kirche wies der Jüdische Präsident des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Rabbiner Henry Brandt, hin. Die von Papst Benedikt XVI. wiederaufgenommene Karfreitagsfürbitte, in der für die Bekehrung der Juden gebetet wird, sowie die Rehabilitierung der Pius-Bruderschaft und die scharfe Reaktion der Amtskirche auf ein Papier des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, in der der Judenmission eine Absage erteilt wird, seien in den vergangenen Monaten "kleine Dämpfer" gewesen. Doch jeder Fortschritt bringe Reaktionen von Bremsern mit sich. "Jetzt müssen wir resolut das Erreichte verteidigen", forderte Brandt. Es dürfe kein Zurück geben.

Die zwölf "Berliner Thesen" sind das Nachfolgedokument zu einem Aufruf von 1947. Zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, der am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen begonnen hatte, hatten sich 65 Juden und Christen aus 19 Ländern im schweizerischen Seelisberg versammelt. Sie wollten nach dem Holocaust die Beziehungen zwischen Juden und Christen stärken und veröffentlichten einen Aufruf in Form von zehn Thesen an die christlichen Kirchen. Darin ging es sowohl um die Bekämpfung des Antisemitismus als auch um eine Erneuerung der Beziehungen zwischen beiden Religionen. 60 Jahre später erneuern die "Berliner Thesen" diesen Aufruf, der sich gleichermaßen an Christen, Juden und andere Religionen richtet.

06. Juli 2009