Afghanistan: Zuhören und trösten

Erste deutsche Militärseelsorgerin in Afghanistan startet zu ihrem Auslandseinsatz

Von Marlene Grund

Saarlouis (epd). Im Norden Afghanistans liegt in der kargen Wüste ein abgeschirmtes Feldlager: groß, flach und heiß. Im Camp Marmal bei Masar-i-Scharif klettern die Temperaturen im Sommer bis auf 45 Grad. Hier sind Soldaten der internationalen Schutztruppe ISAF untergebracht, darunter etwa 2.000 Deutsche. Am Fuß des Marmal-Gebirges, in Kundus und Feisabad, verteidigen insgesamt 3.800 deutsche Soldaten die Sicherheit Afghanistans - und damit nach den Worten des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck (SPD) auch die Sicherheit Deutschlands.

Am Sonntag verlegt auch Pfarrerin Annegret Wirges für vier Monate ihren Arbeitsplatz vom saarländischen Saarlouis ins Soldatenlager Masar-i-Scharif. Sie ist die erste deutsche Militärseelsorgerin in Afghanistan. Die hochgewachsene 48-jährige Theologin mit kurzen roten Haaren wirkt zupackend, patent und schnörkellos, seit zehn Jahren fährt sie ein BMW-Tourenmotorrad. Die Anspannung vor ihrem Auslandseinsatz habe sich nach einem ersten kurzen Besuch in Afghanistan gelegt, sagt sie.

Nun weiß Wirges, wie ihre neue Wirkungsstätte aussieht, sie kennt die Kapelle im Camp, den Raum der Stille, das Kreuz, die Glocke. Ihr Einsatz wird hauptsächlich darin bestehen, in vielen Gottesdiensten, Ansprachen und Gesprächen Trost zu spenden. In zweieinhalb Jahren als evangelische Militärseelsorgerin der Luftlandebrigade 26 in Saarlouis, Lebach und Merzig sammelte die Pfarrerin bereits einschlägige Erfahrungen. Sie musste zwei Soldaten beerdigen, die bei Verkehrsunfällen getötet wurden.

In Afghanistan muss sie mit mehr Todesfällen rechnen. Ihr Vorgänger, der evangelische Militärdekan Stefan Werdelis, nahm in seinem viermonatigen Aufenthalt im Camp Marmal an Trauerappellen für fünf getötete deutsche Soldaten, drei US-Amerikaner und einen Norweger teil. Nach Werdelis' Beobachtung hat sich die militärische Lage im Norden Afghanistans verschlechtert. "Das sind keine Attentate mehr, sondern Gefechte", sagt er.

In Deutschland wird über den Bundeswehr-Einsatz am Hindukusch kontrovers diskutiert - und über die Frage, ob es sich um einen Krieg handelt. In der Militärseelsorge werden Forderungen nach einem Rückzugsszenario laut. Auch wenn der Konflikt völkerrechtlich kein Krieg sei, erlebten Soldaten, dass Kameraden getötet würden und dass sie selbst töten müssten, sagt der evangelische Militärbischof Martin Dutzmann. Das sei "Krieg und doch nicht Krieg".

Aus politischen Bewertungen hält sich Annegret Wirges heraus, sie will sich weder zum Militäreinsatz in Afghanistan generell noch zur Rolle der Militärseelsorge äußern. Dass sie die erste deutsche Militärpfarrerin in dem Land am Hindukusch ist, überhaupt eine der wenigen Frauen im Camp Marmal, ist offenbar für Außenstehende mit größerer Bedeutung aufgeladen als für sie selbst. Ihren Auslandseinsatz empfindet Wirges als folgerichtigen Schritt. "Ich will dort Seelsorge leisten, wo die Soldaten sind", sagt sie.

Der Wunsch nach unmittelbarer Teilnahme war Teil ihrer Motivation, nach 15 Jahren Krankenhausseelsorge zur Seelsorge in der Bundeswehr zu wechseln. Wenn die Soldaten in Afghanistan ihren schweren Dienst tun, will sie zuhören, Zuwendung geben, trösten. "Ich kann keinem die Furcht nehmen", betont die Theologin. Es sei aber möglich, einen Ort der Ruhe zu geben, Raum für Fragen, Zweifel und Sehnsüchte.

08. Juli 2009