"Wir brauchen eine gemeinsame Anstrengung"

Wegweisendes evangelisch-katholisches Dokument zum Schutz des Lebens vor 20 Jahren erschienen

Frankfurt a.M. (epd). Es waren innenpolitisch hitzige Zeiten. Am 28. Dezember 1989 ließen katholische Kirchen in zahlreichen Orten die Glocken läuten. Mit dem "Mahnläuten" sollte anlässlich des Festes der unschuldigen Kinder zu Andacht und Gebet gerufen werden. Diese Aktion erfuhr von Frauenorganisationen Protest, da einige Bischöfe sie als demonstratives Zeichen gegen die hohe Zahl der Abtreibungen verstanden wissen wollten.

Knapp vier Wochen zuvor, am 30. November 1989, präsentierten in Bonn der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Martin Kruse, das Dokument "Gott ist ein Freund des Lebens". Darin machten sie deutlich, dass die evangelische und katholische Kirche ungeachtet unterschiedlicher Standpunkte zum Abtreibungsrecht gemeinsam für eine Verbesserung des Lebensschutzes eintreten.

"Was wir brauchen, ist eine umfassende gemeinsame Anstrengung aller zum Schutz des Lebens", heißt es im Vorwort des Textes, den auch die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen ausdrücklich mittrugen. Vorbereitet wurde die "Gemeinsame Erklärung" seit 1987 von einer Kommission, deren Vorsitz sich Rita Waschbüsch als Präsidentin des Laienkatholizismus und der Bonner evangelische Sozialethiker Martin Honecker teilten.

Deren Aufgabe war es, neben dem Schwangerschaftsabbruch auch Themen wie Forschung an Embryonen, Umgang mit Behinderten, Organübertragungen und Sterbehilfe zu bedenken und gemeinsame Empfehlungen zu formulieren. Eingebettet waren diese bioethische Bestandsaufnahmen in ein umfassendes Kapitel zur Schöpfungsethik, in dem die Risiken der Atomtechnik und Gentechnik klar benannt werden und ein Staatsziel Umweltschutz befürwortet wird.

Für den Mainzer katholischen Moraltheologen Johannes Reiter, der zum Kreis der Autoren gehörte, ist das Kirchenwort auch aus heutiger Sicht ein richtungsweisender ökumenischer Grundlagentext zu bioethischen Fragen. In einigen Punkten - künstliche Befruchtung und Abtreibung - gebe es nach wie vor Dissens. Die katholische Position sei an das Lehramt gebunden, während auf evangelischer Seite die Gewissensentscheidung des Einzelnen größeres Gewicht habe.

Der Bonner Theologieprofessor Honecker findet rückblickend, eine einmalig günstige Konstellation habe vor 20 Jahren diese ökumenisch bedeutsame Standortbestimmung zum Lebensschutz erlaubt. Das Fenster sei derzeit nicht mehr in dem Maße offen, auf katholischer Seite der Spielraum enger und das Klima kälter geworden, findet Honecker unter Verweis auf Rom.

Auch die wissenschaftliche Entwicklung sei fortgeschritten, gibt der Sozialethiker zu bedenken. Stichworte sind Forschung mit embryonalen Stammzellen, Klonen, Präimplantationsdiagnostik, somatische Gentherapie und Gentests. Der evangelische Sozialethiker Peter Dabrock bescheinigt dem Text "Gott ist ein Freund des Lebens" einen guten Klang und unverändert hohen Stellenwert. Er biete eine gute Grundlage für eine weiterführende "ökumenische Lerngemeinschaft", sagt der Marburger Theologieprofessor. Zu Herausforderungen wie Klimawandel oder Generationengerechtigkeit seien gemeinsame evangelische-katholische Standpunkte gefragt.

Hingegen steht für den katholischen Moraltheologen Eberhard Schockenhoff der evangelisch-katholische Konsens auf wackligen Füßen. Bei Stammzellforschung und der Fortpflanzungsmedizin würden die Differenzen immer deutlicher erkennbar, bilanziert er in der "Herderkorrespondenz" vom Dezember. Der Konsens in bioethischen Konflikten am Lebensanfang und -ende, der in "Gott ist ein Freund des Lebens" formuliert wurde, werde inzwischen von protestantischen Sozialethikern und evangelischen Bischöfen in Fragte gestellt, sorgt sich das Mitglied des Ethikrates.

Eine dauerhafte Frucht der gemeinsamen Erklärung ist geblieben. Seit 1994 findet jährlich auf Initiative der evangelischen und katholischen Kirche in allen Diözesen und Landeskirchen die "Woche für das Leben" statt. Und der oberste Repräsentant der Katholiken wirbt dafür, dass beide großen Kirchen in ethisch virulenten Fragen so weit als möglich zusammenarbeiten. Die neue Dialogrunde der Bischofskonferenz mit den lutherischen Kirchen über "Gott und die Würde des Menschen" könnte für Klärung in strittigen Punkten sorgen, hofft der Freiburger Erzbischof und Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch.

Von Rainer Clos (epd)

28. November 2009

Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der DBK „Gott ist ein Freund des Lebens“