Kirchenfrauen beklagen "Riesenlücke"

Charismatische Hoffnungsträgerin Käßmann schwer ersetzbar

Von Renate Kortheuer-Schüring (epd)

Frankfurt a.M. (epd). Für die Frauen in der Kirche war der Schock besonders groß: Mit Margot Käßmann an der Spitze des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hatten die meisten von ihnen immense Hoffnungen verknüpft. Der Rücktritt der 51 Jahre alten Bischöfin am Mittwoch löste unter den Protestantinnen Trauer aus, aber auch das Gefühl eines frauenpolitischen Rückschlags.

Von einem "herben Verlust" sprach der Verband Evangelische Frauen in Deutschland. Es sei ein großes Vakuum entstanden, sagte Leiterin Beate Blatz aus Hannover dem epd. Eine Frau, die sich mit ähnlichem Charisma und wachem Blick für geschlechtersensible Fragen wie Armut, Pflege und Ökumene einsetze, "muss man erst mal wieder finden". Eine von Blatz' Amtsvorgängerinnen, Gerhild Frasch, sprach gar von einer "Katastrophe für die Kirche". "Sicher, die Arbeit wird weitergehen, aber ihre Stimme wird fehlen."

Eine "Riesenlücke" - so wie die Frankfurter Pfarrerin und EKD-Synodale Ulrike Trautwein - empfinden viele Protestantinnen beim Abschied Käßmanns. Diese habe als hannoversche Bischöfin und EKD-Ratsvorsitzende Maßstäbe gesetzt, so eine Frau könne man nicht aus dem Hut zaubern, sagte Trautwein. Und immer noch wagten es zu wenige Frauen, in eine Spitzenposition hineinzugehen.

In der Tat sind die landeskirchlichen Führungsspitzen wieder starker männerdominiert: 20 der 22 Landeskirchen werden von Männern geleitet. Als Bischöfinnen bleiben Maria Jepsen (65) in Hamburg, die 1992 zur ersten lutherischen Bischöfin weltweit gewählt wurde und die 2012 ausscheidet, und die mitteldeutsche Bischöfin Ilse Junkermann (52). Die nordelbische Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter ging bereits vor zwei Jahren in den Ruhestand. Immerhin hat die EKD-Synode, das Kirchenparlament, mit Katrin Göring-Eckardt eine weibliche Präses.

An die Spitze der EKD-Rats tritt mit dem amtierenden Vorsitzenden, dem rheinischen Präses Nikolaus Schneider, jetzt wieder ein Mann. Von ihm erhoffen sich die Protestantinnen, dass er für Frauenstandpunkte ein offenes Ohr hat und ihre Anliegen, einschließlich der Frage der Geschlechtergerechtigkeit, weiter unterstützt.

Bei nicht wenigen Frauen herrscht nämlich auch Verärgerung darüber, dass ein Mann ihrer Ansicht nach bei einem Vergehen wie Käßmanns Trunkenheitsfahrt mit 1,54 Promille weniger unter Druck geraten wäre. "Einem Mann hätte man das Vergehen nachgesehen", kommentierte Alice Schwarzer, die Käßmann lieber weiter im Amt gesehen hätte, bei "Spiegel online". Und auch Blatz findet: "Bei Frauen und Alkohol ist das Entrüstungspotenzial höher." Sie bezweifelt, dass mancher Mann bei einer ähnlichen Straftat gleiche Konsequenzen gezogen und ähnlich hohe Forderungen an die eigene Authentizität und Glaubwürdigkeit gestellt hätte wie Margot Käßmann.

Wenn die EKD im Herbst über den neuen Ratsvorsitz entscheidet, werden auch zwei neue Mitglieder in den Rat gewählt. Eine Stelle war bei den Wahlen 2009 vakant geblieben, weil die Synode sich nicht auf eine Mehrheit für Trautwein, Sprecherin der eher progressiven Synodengruppe Offene Kirche, einigen konnte. Neben der Bischofswahl in Hannover, deren Termin noch offen ist, wäre das nun die nächste Chance für Frauen in kirchlichen Führungsämtern.

"Eigentlich müssen jetzt zwei Frauen in den Rat gewählt werden", sagt Trautwein. Sie würde sich zudem freuen, wenn darunter eine Gemeindepfarrerin wäre. Denn die Gemeinden seien im laut Statuten 15-köpfigen Rat überhaupt nicht repräsentiert. Dabei wird die Arbeit an der kirchlichen Basis, besonders im Ehrenamt, traditionell stärker von Frauen getragen.

Jepsen äußerte sich unterdessen hoffnungsvoll, dass neue Begabungen dazukämen und auch Käßmann im absehbarer Zeit in "Blick- und Hörweite" wieder auftauche. Nach ihrer Erfahrung haben es Frauen in der Kirche, besonders in Spitzenpositionen, immer noch schwerer als Männer. "Einerseits werden wir manchmal hochgejubelt. Aber dann auch sehr schnell fallengelassen."

25. Februar 2010