Göring-Eckardt: Zwischen Kontakten im Netz und Freunden trennen

Frankfurt a.M. (epd). Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Katrin Göring-Eckardt, warnt vor den Folgen sozialer Netzwerke im Internet für das Privatleben. Die Kontakte in der digitalen Welt könnten das persönliche Gespräch nicht ersetzen. Wahre Freunde seien "mehr als digitale Pseudofreunde, sie brauchen Pflege und Zuneigung", schreibt die Mit-Herausgeberin von "chrismon" in der April-Ausgabe des evangelischen Magazins.

"Digitale Netzwerke machen unsere Privatleben immer durchlässiger", konstatiert die Grünen-Politikerin und Vizepräsidentin des Bundestags. In den digitalen Netzwerken sei nachzulesen, wie man sich gerade fühlt, mit wem man sich trifft, worüber man sich ärgert. "Das bringt Risiken und Nebenwirkungen mit sich", warnt Göring-Eckardt.

Jeder sollte darauf achten, welche Daten er im Internet preisgebe. Und auch müssten im weltweiten Netz die Bürgerrechte geschützt werden.

27. März 2010


Der Beitrag im evangelischen Monatsmagazin „chrismon“ im Wortlaut:

Leben im Netz

Katrin Göring-Eckardt

Müssen wir vorsichtiger sein mit unseren persönlichen Daten? Digitale und echte Freunde sind jedenfalls nicht dasselbe

Gott sieht alles. Facebook auch. Als Kind habe ich mich oft gefragt: Wie macht das Gott eigentlich, dass er immer alles weiß, und zwar bei jedem und jeder von uns? Seit es im Internet soziale Netzwerke wie Facebook, StudiVZ oder Wer-kennt-wen gibt, habe ich eine ungefähre Vorstellung davon.

Denn Facebook ist, wie Gott vielleicht auch, ein großer Datensammler. Facebook allerdings merkt sich alles und sagt es dann auch noch weiter. Natürlich ist Facebook auch gut. Man kann einfach in Kontakt bleiben oder kommen. Ohne großen Aufwand bleibt man zum Beispiel auf dem Laufenden darüber, was die Tochter, die gerade ein Jahr in Australien ist, so macht. Auch alte Freunde lassen sich auffinden. Und: Ohne digitale Vernetzung kann man in der sogenannten Aufmerksamkeitsökonomie kaum noch bestehen, das gilt nicht nur für Künstler, sondern auch für Politikerinnen.

Wir haben alle immer mehr Kontakte, auch zu Menschen, die wir gar nicht kennen und im Grunde auch nicht kennen­lernen wollen. Das bringt Risiken und ­Nebenwirkungen mit sich. Ein Bekannter erzählte mir neulich Folgendes: Nach einer Essenseinladung an einige Freunde habe sich einer der Gäste auf seiner digitalen Pinnwand für den schönen Abend bedankt. Kurz nachdem die Meldung online ging, meldete sich ein anderer Freund ­beleidigt per Telefon: "Früher gehörte ich auch zu den Freunden, für die du gekocht hast." Da war nichts mehr zu erklären. Die Zahl seiner digitalen "Freunde" ist stetig gewachsen, einen echten hat er womöglich jetzt verloren.

Digitale Netzwerke machen unser Privatleben immer durchlässiger, wer wann wen trifft, wie man sich gerade fühlt, wo­rüber man sich ärgert, alles nachzulesen, und zwar für jede und jeden.

Wenn das Private zu verschwinden droht, weil alles irgendwie öffentlich werden kann, wie soll man sich dann am besten verhalten? Vielleicht sollten wir einmal genauer darüber nachdenken, was "Freundschaft" heutzutage eigentlich ist. Die ­Hunderte Facebook-"Freunde" sind ja nicht alle richtige Freunde, sondern eben vor allem "Kontakte".

Wahre Freundschaften können nicht von einem Algorithmus errechnet und vorgeschlagen werden, und sie sind auch kein "soziales Kapital", mit dem ich meine Karriere vorantreibe. Sie sind mehr als digitale Pseudofreunde, sie brauchen Pflege und Zuneigung.

Vielleicht können wir die moderne Sorge, zu wenig vernetzt zu sein, abschütteln? Und dafür lieber wieder häufiger mit einem Menschen ein wirkliches Gespräch führen, womöglich sogar über ganz Privates. Schließlich hätten wir bei dieser Art der Entschleunigung auch noch mehr Zeit, genauer hinzuschauen und darauf zu achten, was mit all unseren privaten Daten geschieht. Das Problem ist ja oft, dass im Multitasking zu vieles so nebenbei passiert und wir hinsichtlich der Folgen zu wenig achtsam sind.

Und es muss klar sein, dass das Internet kein Ort ist, an dem das Recht nur mal vorbeischaut, gerade was die Bürgerrechte angeht. Und, auch das muss möglich sein: "Ich bin dann mal weg." Wer nicht mehr dabei sein will, der muss auch sichergehen können, dass seine Daten konsequent ­gelöscht werden.

PS: Schauen Sie bei Facebook ruhig mal vorbei, zum Beispiel bei der Fanseite zum Ökumenischen Kirchentag, den wir vom 12. bis 16. Mai 2010 in München feiern. Sie finden dort viele, die begeistert sind - von Facebook? Nein, vom Ökumenischen ­Kirchentag!