Eine Gemeinde, die es offiziell nicht gibt

Deutschsprachige Christen in der Türkei sehen im Besuch Merkels ein hoffnungsvolles Signal

Von Holger Spierig und Andreas Gorzewski (epd)

Istanbul (epd). In dem Besuch Angela Merkels (CDU) sehen deutschsprachige Christen in der Türkei ein hoffnungsvolles Signal. Das sei auch ein Bekenntnis der Bundesregierung für die Unterstützung der Wünsche nach einem Rechtsstatus, sagt Holger Nollmann, Auslandspfarrer der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in der deutschsprachigen evangelische Gemeinde in Istanbul. Am Dienstag, dem zweiten und letzten Tag ihrer Türkeireise, traf Merkel in der evangelischen Gemeinde mit Vertretern deutscher Protestanten und Katholiken und türkischen Politikern zusammen.

Unterstützung haben die Gemeinden denn auch nötig. Offiziell gibt es sie gar nicht. Wenn der westfälische Pfarrer Nollmann in seiner Gemeinde die Kirchenglocke läutet, weiß er nicht, ob er das überhaupt darf. Da die "Evangelische Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei" keine Rechtsperson ist, kann er auch keinen Antrag dafür stellen. De facto werde man aber akzeptiert, sagt der 45-Jährige. Die deutschsprachige katholische Gemeinde am Bosporus steht vor ähnlichen Problemen.

Die Türkei, in der 99 Prozent der Einwohner Muslime sind, erlaubt den christlichen Konfession bislang nicht, neue Grundstücke für den Bau von Kirchen zu erwerben oder eigene Theologen auszubilden. Die Kirchen im Land sind meist nur als Kulturvereine oder Stiftungen organisiert. Die damit verbundenen Einschränkungen zwingen die Gemeinden zum Improvisieren. So ist der westfälische Theologe Nollmann als Sozialattaché am deutschen Generalkonsulat beschäftigt, da ausländische Geistliche bis vor kurzem nicht in der Türkei arbeiten durften.

Im Grundbuchamt der Stadt Istanbul ist das ockerfarbene Kirchgebäude zwar eingetragen, "aber in der Spalte Eigentümer steht nichts", erzählt Nollmann. Problematisch wurde dies, als für einen Gasanschluss die Eigentums- und Zuständigkeitsverhältnisse geklärt werden mussten. Ausgestattet mit der prachtvollen Überlassungsurkunde des Sultans aus dem 19. Jahrhundert ging Pfarrer Nollmann aufs Amt: Der zuständige Beamte konnte die osmanische Schrift des historischen Dokuments zwar nicht lesen, war aber so beeindruckt, dass er grünes Licht für den Gasanschluss gab.

Die evangelische deutschsprachige Gemeinde in Istanbul, die bereits 1843 gegründet wurde, hat laut Nollmann rund 200 eingeschriebene Mitglieder. Die allermeisten davon sind nur für eine bestimmte Zeit als Diplomaten, Geschäftsleute oder Lehrer im Land. "Manchmal haben wir im Frühjahr einen wunderbar großen Chor und im Herbst nur einen einsamen Sänger", beschreibt er die hohe Fluktuation. Dennoch ist sein Arbeitsbereich viel größer als die Bundesrepublik, da es Ableger der Gemeinde auch in Ankara und anderen türkischen Orten gibt.

In der extremen Minderheitssituation pflegen die deutschsprachigen Protestanten und Katholiken einen sehr vertrauten und herzlichen Umgang. Man hilft sich untereinander, lädt die andere Gemeinde zu Festen oder Gottesdiensten ein. Oft werden Gottesdienste auch gemeinsam gefeiert.

Von dem ungeklärten Rechtsstatus in der Türkei sind nicht nur die deutschsprachigen Gemeinden betroffen. Weil sie keinen theologischen Nachwuchs ausbilden können, fürchten vor allem die einheimischen Kirchen auszubluten. Seit Anfang der 70er Jahre ist das orthodoxe Priesterseminar Chalki geschlossen. Dem 1.600 Jahre alten syrisch-orthodoxen Kloster Mor Gabriel in der Südosttürkei droht zudem die Enteignung seiner Ländereien. Viele Christen - vor allem der alteingesessenen armenischen, griechisch- oder syrisch-orthodoxen Gemeinden - wandern mangels Perspektive aus. Die Zahl der Christen in dem Land mit 70 Millionen Einwohnern wird auf höchstens 120.000 geschätzt.

In zentralen Fragen wie dem Rechtsstatus oder eine leichtere Gründung von Stiftungen hat bislang laut Nollmann kaum Fortschritte gegeben. Hoffnung macht ihm, dass sich jetzt eine neu eingerichtete Regierungskommission verstärkt um die Verbesserung der Rechte der religiösen Minderheiten kümmern soll. "Das ist schon ein wichtiger Schritt", erklärt Nollmann. Allerdings müsse die Regierung unter Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan Verbesserungen für religiöse Minderheiten gegen eine starke Opposition durchsetzen.

Die Gespräche Erdogans mit führenden Vertretern der Kirchen hätten zumindest in jüngster Zeit zugenommen, so Nollmann. Vor wenigen Wochen signalisierte die türkische Regierung, dass das orthodoxe Priesterseminar möglicherweise wieder geöffnet werden könnte.

31. März 2010

Ev. Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei