Schnaps im Kirchenkeller

Deutschlands einzige Kloster-Kornbrennerei arbeitet seit 1682 - Ganz eigene Variation der Pfingstgeschichte

Von Michael Grau (epd)

Goslar (epd). "Hier ist die Wand am dünnsten", sagt Günter Heuer-Brockmann (53) und klopft mit dem Zeigefinger an die Mauer der Klosterkirche von Wöltingerode. Am liebsten möchte der Administrator hier eine Tür durchbrechen. Denn hinter der Mauer, in der Krypta der 1208 gegründeten Kirche, befindet sich der ganze Stolz des Klostergutes bei Goslar: der Schnapskeller. Seit 328 Jahren werden hier geistige Getränke destilliert, das ehemalige Kloster unterhält die einzige Kloster-Kornbrennerei in Deutschland. Die Klosterkirche ist zweigeteilt: Vorne wird gebetet, hinten lagern Fässer und Flaschen mit Likör und Korn.

Das Kloster bietet damit eine ganz eigene Variation der biblischen Pfingstgeschichte. "Sie sind voll süßem Wein", spotteten viele Jerusalemer, als die Apostel an Pfingsten, 50 Tage nach Ostern, vom Geist erfüllt wurden und in vielen Sprachen zu reden begannen. Das lag allerdings nicht am Geist des Weines, sondern am Heiligen Geist, der sich nach dem Bericht des Neuen Testaments mit einem "Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind" bemerkbar machte.

Dass in Wöltingerode ganz irdisch der Schnaps im Kloster Einzug hielt, ist einer frommen Schwester namens Sophie zu verdanken. Sie wurde nach einem verheerenden Brand 1676 mit zwei anderen Nonnen vom Propst nach Berlin geschickt, um Spenden für den Wiederaufbau des 1174 gegründeten Klosters einzuwerben. Als der Propst lange Zeit nichts von ihnen hörte, machte er sich selbst auf den Weg. "Er fand die Nonnen, und sie süppelten Likör, einen Getreidekümmel", erzählt Heuer-Brockmann. Die Frauen versprachen zurückzukehren - unter der Bedingung, dass auch in Wöltingerode Likör gebrannt wird.

Der Propst versprach es, der Bischof war einverstanden, und so machten sich die Nonnen 1682 an die Arbeit. Bis zu 150 Frauen lebten zeitweise in dem Zisterzienserinnen-Kloster, bis es 1809 säkularisiert wurde. Die Nonnen wurden vertrieben, der Schnaps aber blieb. Die "Berliner Sophie", ein Getreidekümmel nach altem Rezept, ist noch heute eine von zwölf Sorten, die im Klostergut hergestellt werden. "Unser Renner", sagt Heuer-Brockmann.

Daneben sind etwa der Edelkirsch "Äbtissin Marie" oder der "Feine Probstei-Likör St. Benno" im Angebot. In diesem Sommer soll ein spezieller Hanflikör hinzukommen. Die Nutzhanf-Pflanzen, die keinen Drogenrausch auslösen können, werden vom Gut selbst angebaut. Insgesamt lagern derzeit rund 54.000 Liter trinkfähiger Schnaps im Kloster. Jahrelang ruhen sie in großen Holzfässern, um ihr Aroma zu entfalten. Die Brennerei produziert nach traditionellem Verfahren die vergleichsweise kleine Menge von rund 150.000 Flaschen im Jahr.

Vor zwei Jahren hat das Gut im Eigentum der Klosterkammer Hannover ein Hotel mit 80 Betten eröffnet - mit breiten Fluren und Fachwerk-Zimmern in den alten Nonnenzellen. Heuer-Brockmann hat oft überlegt, ob alkoholische Getränke mit Namen wie "Pater Jacob" nicht anstößig klingen oder sich angesichts vieler Kirchenaustritte vielleicht schwieriger vermarkten lassen. Doch Kritik hat er bisher nicht erhalten. "Und die Leute, die ausgetreten sind, trinken Äbtissin Marie, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen."
17. Mai 2010

Die Klosterbrennerei Wöltingerode