Evangelische Kirche: Sterbehilfe-Urteil stärkt Rechtssicherheit

Hannover (epd). Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) begrüßt, dass durch das Sterbehilfe-Urteil des Bundesgerichtshofs das Recht des Patienten auf die Umsetzung seines Willens gestärkt wird. Die Entscheidung trage zu einer größeren Rechtssicherheit bei Ärzten, Pflegepersonal und Angehörigen bei, heißt es in einer EKD-Stellungnahme, die am Freitag in Hannover veröffentlicht wurde. Darin lehnt die evangelische Kirche zugleich Lockerungen bei den gesetzlichen Regelungen zur Tötung auf Verlangen entschieden ab.

In dem am Vormittag verkündeten Grundsatzurteil zur Sterbehilfe stärkte das Gericht den selbstbestimmten Willen von Patienten. Die Behandlung von unheilbar erkrankten und selbst nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten dürfe jederzeit abgebrochen werden, wenn der Patient dies zuvor so geäußert oder veranlasst hat, entschieden die Richter in Karlsruhe. Dieser Behandlungsabbruch entspreche keiner Tötung auf Verlangen und sei eine Form der zulässigen passiven Sterbehilfe.

Nach Auffassung der christlichen Ethik gebe es keine Verpflichtung zur Lebensverlängerung um jeden Preis und auch kein ethisches Gebot, die therapeutischen Möglichkeiten der Medizin bis zum Letzten auszuschöpfen, argumentiert die EKD. Einen Menschen sterben zu lassen, sei bei vorher verfügtem Patientenwillen nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten. Zur Endlichkeit des Lebens gehöre auch, das Herannahen des Todes zuzulassen, wenn die Zeit dafür gekommen sei.

Hingegen sei die gezielte Tötung eines Menschen in der letzten Lebensphase aus christlicher Sicht ethisch nicht vertretbar, auch wenn dies ausdrücklich gewünscht werde, heißt es in der kirchlichen Stellungnahme weiter. Gesetzliche Regelungen und gesellschaftliche Konventionen, die der Tötung auf Verlangen oder der Beihilfe zur Selbsttötung den Weg ebneten, seien ein Irrweg. Dies lehnten die christlichen Kirchen entschieden ab: "Sie werden sich auch in Zukunft dafür einsetzen, dass an den bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Tötung auf Verlangen festgehalten wird und keine Lockerung erfolgt."

25. Juni 2010

EKD-Pressemitteilung


Freispruch in Sterbehilfe-Prozess

Bundesgerichtshof stärkt Recht von Patienten auf selbstbestimmtes Leben

Karlsruhe (epd). In einem Grundsatzurteil zur Sterbehilfe hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe am Freitag den selbstbestimmten Willen von Patienten gestärkt. Die Behandlung von unheilbar erkrankten und selbst nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten dürfe jederzeit abgebrochen werden, wenn der Patient dies zuvor so geäußert oder veranlasst hat, entschieden die Richter in Karlsruhe. Dieser Behandlungsabbruch entspreche keiner Tötung auf Verlangen und sei eine Form der zulässigen passiven Sterbehilfe, heißt es in dem am Freitag veröffentlichten Urteil.

In dem Verfahren wurde der Münchner Anwalt Wolfgang Putz vom Vorwurf des versuchten Totschlags und aktiver Sterbehilfe freigesprochen. "Das Abschalten eines Respirators oder der Schnitt durch eine Magensonde ist ein zulässiger Behandlungsabbruch", begründete die Vorsitzende Richterin Ruth Rissing van Saan das Urteil. Dies habe nichts mit Tötung auf Verlangen oder versuchtem Totschlag zu tun.

Auch das Durchschneiden eines Schlauches sei keine rechtswidrige Tötung, wenn eine "tragfähige, auch mündliche Willensäußerung" des Patienten vorliege. Der Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen könne straffrei geschehen, "auch unabhängig vom Eintritt der finalen Sterbephase", sagte die Richterin.

Nach dem neuen Patientenverfügungsgesetz, das seit 1. September 2009 in Kraft ist, müssen Arzt und Betreuer den mutmaßlichen Willen des Kranken ermitteln, wenn keine Erklärung vorliegt. Diese Rechtsprechung sei "am Patientenwillen orientiert und stellt das Selbstbestimmungsrecht des Menschen in den Vordergrund", sagte Rissing van Saan.

Demnach muss bei Uneinigkeit ein Vormundschaftsgericht eingeschaltet werden. Im konkreten Fall hatte die 77-jährige Erika K. Jahre zuvor gegenüber ihrer Tochter geäußert, dass sie keine lebensverlängernden Maßnahmen wolle, wenn sie nicht mehr selbst entscheiden könne.

Der angeklagte Anwalt Putz hatte im Dezember 2007 einer Mandantin geraten, dass sie bei ihrer todkranken, im Wachkoma liegenden Mutter den Schlauch der Magensonde durchschneiden soll. Damit sollte die Fortsetzung der künstlichen Ernährung durch das Pflegeheim im hessischen Bad Hersfeld verhindert und das Sterben der 77-jährigen Erika K. erreicht werden.

Das Pflegeheim hatte dem Abbruch der Behandlung zunächst zugestimmt. Als die künstliche Ernährung beendet wurde, machte der Heimträger aber einen Rückzieher. Auch dieser Rückzieher verstoße gegen das Recht des Patienten auf ein selbstbestimmtes Leben, sagte Rissing van Saan. Die Tochter war dem Rat von Putz gefolgt und durchschnitt die Magensonde. Das Pflegeheim veranlasste daraufhin die Einweisung in ein Krankenhaus. Dort starb die 77-Jährige zwei Wochen später.

"Heute ging es ganz klar darum, dass es einen Verstoß gegen die Menschlichkeit bedeutet, wenn die Geräte gegen den Willen des Patienten weiter in Betrieb sind", kommentierte Anwalt Putz das Urteil. Putz war vom Landgericht Fulda im April vergangenen Jahres wegen versuchten Totschlags "durch aktives Tun" zu einer neunmonatigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von 20.000 Euro verurteilt worden. Die Tochter wurde freigesprochen, da sie im Glauben war, rechtmäßig gehandelt zu haben. Vor dem BGH hatte nicht nur Putz selbst, sondern auch der Generalstaatsanwalt Freispruch gefordert.

25. Juni 2010