Schäuble erinnert auf Kirchen-Weltkongress an deutschen Widerstand

Stuttgart (epd). Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat vor dem Weltkongress der Lutheraner in Stuttgart an den deutschen Widerstand in der NS-Zeit erinnert. Das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 sei auch ein Beispiel für christliche Gewissenspflicht, sagte Schäuble am Dienstag zum Auftakt der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) in der baden-württembergischen Landeshauptstadt nach einem vorab verbreiteten Redetext.

Die Mitglieder der Widerstand-Gruppe hätten begriffen, dass die normale bürgerliche Pflicht zur Loyalität gegenüber der Regierung in diesem Fall suspendiert werden musste im Interesse einer Beseitigung der Terrorherrschaft. Auch wenn der Anschlag fehlschlug und die meisten Verschwörer ihr Leben verloren, sei ihr Handeln ein wichtiges Zeugnis dafür, wie christlicher Glauben in aktives politisches Handeln übertragen werden könne.

Schäuble räumte ein, die lutherische Tradition in Deutschland habe lange dazu tendiert, Menschen "eher zu gehorsamen Untertanen denn zu aktiven Bürgern zu formen". Es sei wahrscheinlich kein Zufall, dass die Demokratie zuerst in calvinistisch geprägten Ländern Wurzeln schlug - in den Niederlanden, in England, in den Vereinigten Staaten. "Die Deutschen mussten in einer schmerzhaften Geschichte erst lernen, dass alle Bürger eine gemeinsame Verantwortung für das politische Gemeinwesen tragen", so Schäuble. Für die Mehrheit habe sich diese Einsicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg erschlossen.

Heute seien Staat und Kirche in Deutschland nicht mehr in der Form verbunden, wie das in der Vergangenheit der Fall war, fügte der Bundesminister hinzu: "Sie sind unabhängig voneinander, und das müssen sie auch sein." Ansonsten sei das Ergebnis "sowohl schlechte Religion als auch schlechte Politik". Staat und Kirche seien jedoch nicht vollkommen voneinander getrennt. "Für mich als Politiker, der selbst auch evangelischer Christ ist, ist es klar und sehr wichtig, dass Glaube und Politik niemals zwei vollkommen verschiedene Dinge sind oder sein könnten."

Als Beispiel dafür nannte Schäuble die Finanzkrise der vergangenen Jahre. Diese habe die Folgen unbegrenzter menschlicher Gier nach Reichtum und Macht vor Augen geführt. Der christliche Glaube lehre, dass Menschen "zwiespältige Wesen" sind. "Was wir wollen und begehren ist nicht unbedingt das, was für alle - uns selbst eingeschlossen - gut ist", so Schäuble laut Redetext: "Was wir haben, scheint uns nie genug zu sein." Der Glaube an Gott zeige dagegen die Grenzen des Handelns auf.

Die Tatsache, dass "unsere Wachstumsraten nicht mehr mit denen von Schwellenländern wie China, Indien oder Brasilien mithalten, bedeutet nicht, dass wir erfolglos sind", mahnte Schäuble. Vielmehr bedeute es, dass "wir bereits einen erheblichen Wohlstand für einen großen Teil der Bevölkerung erwirtschaftet haben. Das sollten wir akzeptieren."

21. Juli 2010

LWB-Vollversammlung in Stuttgart

Die Rede von Wolfgang Schäuble