US-Ökonom Sachs fordert Aidsbekämpfung statt Militäreinsätze

Wien (epd). Der US-Ökonom Jeffrey Sachs kritisiert die mangelnde Bereitschaft der Industrieländer, dem Globalen Aids-Fonds neues Geld zu geben. Für Militäreinsätze und die Rettung der Banken seien riesige Summen aufgebracht worden, sagte der Leiter des Earth-Instituts an der Columbia-Universität in New York in einem epd-Interview zur Welt-Aids-Konferenz in Wien. Die Regierungschefs dürften ihre Versprechen nicht brechen.

Mit Unverständnis reagierte Sachs auf die Zurückhaltung der Bundesregierung, eine Drei-Jahres-Zusage zu machen. Bisher hat Deutschland dem Fonds lediglich 200 Millionen Euro (255 Millionen US-Dollar) für 2011 zugesagt, sich weiter aber nicht festgelegt. "Wenn das so ist, wird womöglich in Deutschland nicht recht verstanden, was für eine außerordentlich erfolgreiche Arbeit geleistet wird", sagte Sachs.

"Der Fonds hat Millionen Menschen das Leben gerettet", argumentierte er. "Jetzt darf man nicht den Fehler machen, Millionen Menschen dem Tod zu überlassen." Der Globale Fonds brauche 17 bis 18 Milliarden Dollar für die nächsten drei Jahre, um seine Ziele im Bereich Gesundheit zu erreichen. Als schweren Fehler kritisierte Sachs auch, dass die USA ihren Beitrag an den Fonds auf eine Milliarde Dollar einfrieren.

Der Globale Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria hat seit seiner Gründung 2002 rund 19,2 Milliarden Dollar für Gesundheitsprogramme weltweit mobilisiert. Er finanziert Aids-Therapien für 2,8 Millionen Menschen.

Sachs war UN-Sonderberater des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan für die Millenniumentwicklungsziele zur Bekämpfung von Hunger, Armut und Aids, die bis 2015 erreicht werden sollen. Im September wird in New York Zwischenbilanz gezogen.

22. Juli 2010


Das Interview im Wortlaut:

"Nicht den Fehler machen, Millionen Menschen dem Tod zu überlassen"

US-Ökonom Jeffrey Sachs drängt auch Deutschland zu mehr Aids-Hilfe

Wien (epd). Der US-Ökonom Jeffrey Sachs kritisiert die mangelnde Bereitschaft der Industrieländer, dem Globalen Aids-Fonds neues Geld zu geben. Für Militäreinsätze und die Rettung der Banken seien riesige Summen aufgebracht worden, sagte der Leiter des Earth-Instituts an der Columbia-Universität in New York in einem epd-Interview zur Welt-Aids-Konferenz in Wien. Mit Sachs, der sich in Nairobi aufhält, sprach am Telefon Elvira Treffinger.

epd: Mr. Sachs, auf der Welt-Aids-Konferenz in Wien wird viel über neue Mittel für den Globalen Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria gesprochen. Wie stehen die Zeichen vor der Wiederauffüllungskonferenz im Oktober?

Sachs: Der Globale Fonds braucht 17 bis 18 Milliarden Dollar für die nächsten drei Jahre, um seine Ziele im Bereich Gesundheit zu erreichen. Das bedeutet eine Erhöhung seiner Mittel von jährlich zwei Milliarden auf sechs Milliarden. Aber es besteht die Gefahr, dass einige Länder ihre Beiträge einfrieren oder kürzen. Das wäre eine Tragödie.

epd: Wie sind denn die Zusagen bisher?

Sachs: Die Regierungen haben beim G-8-Gipfel zugesichert, den Fonds großzügig wieder aufzufüllen. Aber US-Präsident Barack Obama steht unter Druck und friert den amerikanischen Beitrag bei einer Milliarde ein. Das ist ein schwerer Fehler.

epd: In Deutschland sichert die Bundesregierung für 2011 wieder 200 Millionen Euro für den Fonds zu, legt sich aber für 2012 und 2013 nicht fest.

Sachs: Wenn das so ist, wird womöglich in Deutschland nicht recht verstanden, was für eine außerordentlich erfolgreiche Arbeit geleistet wird. Der Fonds hat Millionen Menschen das Leben gerettet. Jetzt darf man nicht den Fehler machen, Millionen Menschen dem Tod zu überlassen.

epd: Vermuten Sie hinter dieser Zurückhaltung ein gewisses Misstrauen in der deutschen Regierung gegenüber großen Organisationen wie dem Globalen Fonds und den Vereinten Nationen?

Sachs: Wenn es dieses Misstrauen gibt, würde ich gerne die Zuständigen in der Regierung zu einer Tour durch Afrika einladen. Dann könnten sie sich selbst davon überzeugen, wie außergewöhnlich effizient der Fonds arbeitet. Seine Effizienz ist einzigartig.

epd: Die Aids-Epidemie zu stoppen, ist eines der Millenniumsentwicklungsziele, die bis 2015 erreicht werden sollen. Im September wird in New York Zwischenbilanz gezogen.

Sachs: Die Immunschwäche einzudämmen, ist auch entscheidend für die Bekämpfung der Armut sowie der Kinder- und Müttersterblichkeit in Afrika. Jetzt entwickeln wir kostengünstige und hochwirksame Methoden. Aber die wohlhabenden Staaten haben sich im Jahr 2000 auch verpflichtet, das Geld dafür aufzubringen. Die Versprechen dürfen nicht gebrochen werden.

epd: Beobachten Sie eine allgemeine Gebermüdigkeit wegen der Finanzkrise?

Sachs: Nein, die Länder geben Geld an den falschen Stellen aus. Für Rüstung und Militäreinsätze in Afghanistan und im Irak werden immense Summen bewilligt. Wir haben die Banken mit Abermilliarden Dollar am Leben erhalten und damit ermöglicht, dass die Bankmanager jetzt wieder Milliarden als Boni kassieren. Obama gibt 100 Milliarden für den scheiternden Militäreinsatz in Afghanistan pro Jahr aus. Aber es gibt nicht eine Milliarde mehr, um Menschen am Leben zu halten.

22. Juli 2010