Welt-Aids-Konferenz: Zwischen Robin Hood und Bill Gates

Die Welt-Aids-Konferenz gab sich kämpferisch, hoffnungsvoll und traurig-ernst

Von Elvira Treffinger (epd)

Wien (epd). Am Stand des US-Pharmakonzerns Bristol-Myers Squibb (BMS) war man vielleicht gewarnt. Als französische Aktivisten auf der Wiener Welt-Aids-Konferenz mit Megafon anrückten ("Die Gier von BMS tötet"), parierte einer der Herren im Sakko souverän: Die Firma nehme die Sorge ernst, dass nach Schließung einer Fabrik in Frankreich das Aids-Medikament Videx in der Dosierung für Kinder knapp werden könnte. Und werde für Ersatz sorgen. Das Statement gab es sogar schriftlich.

Die Aktivisten verzichteten diesmal auf die blutrote Farbe, die sie sonst gerne versprühen. Aids-Gruppen aus aller Welt traten auf der Wiener Konferenz, die am Freitag zu Ende ging, mal selbstbewusst und kämpferisch, mal samba-fröhlich auf: Für HIV-Infizierte sind solche Treffen wichtig, sagt Stefan Timmermanns von der Deutschen Aids-Hilfe, um Kraft zu tanken und zu spüren: "Du bist nicht allein."

Beim "Marsch für die Menschenrechte" durch Wien ragte die Faust aus der roten Aidsschleife. Kunterbunt mischten sich Ironisches wie "Liebe muss weitergehen", Kondome in Bonbon-Verpackung, eine Schweigeminute und Hilferufe aus Osteuropa: "Wir sind hier, damit man uns sieht", rief eine Sprecherin osteuropäischer Aids-Gruppen.

Es ging vor allem gegen die Diskriminierung von Homosexuellen, Drogenkonsumenten, Prostituierten und Häftlingen, die HIV-infiziert oder besonders gefährdet sind. Leider glänzten die meisten Regierungen Osteuropas durch Abwesenheit. Sie hatten offenbar keine Lust, über Methadon und saubere Spritzen zu diskutieren. "In Osteuropa sind Drogensüchtige schlicht der Abschaum", sagte eine Aids-Aktivistin.

Großen Beifall gab es für das südafrikanische Aidsforschungsinstitut Caprisa, das erstmals ein Vaginal-Gel erfolgreich getestet hat. Das weckt Hoffnungen, dass sich Frauen eines Tages - selbstbestimmt und ohne Zustimmung der Männer - vor einer HIV-Ansteckung beim Sex schützen können. Im Test ergab sich eine Schutzwirkung von 39 Prozent. Aber die wissenschaftliche Leiterin, Quarraisha Abdool Karim, ist überzeugt: Schon 40 Prozent Schutz sei bei hohem Risiko besser als nichts: "Wir haben den Frauen nichts anderes anzubieten, wenn ihre Männer Kondome ablehnen." Im Durchschnitt infiziere sich heute eine von fünf 18-jährigen Südafrikanerinnen mit HIV.

Vuyiseka Dubula, Chefin der südafrikanischen Treatment Action Group, forderte mit grünem Hütchen keck den Multimilliardär und Stifter Bill Gates heraus: Er möge sich doch für eine Robin-Hood-Steuer für die Reichen einsetzen, um Aidsprogramme für die Armen zu finanzieren. Der Microsoft-Gründer gab sich gönnerhaft: Er bezweifle, dass das funktionieren werde.

Kritik ernteten in Wien vor allem die Regierungen der USA, Deutschlands, Österreichs und Kanadas, die Mittel für den Globalen Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria einfrieren, kürzen oder gar nicht vorsehen. Der Fonds hofft auf insgesamt 20 Milliarden Dollar für die nächsten drei Jahre, um weit mehr Menschen als die bisher 5,2 Millionen eine lebensrettende Aids-Therapie zu bieten. Etwa die Hälfte finanziert der Globale Fonds. Weitere zehn Millionen brauchen Arzneimittel.

Der Bedarf ist immens: Während heute weltweit zwei Menschen eine Therapie aufnehmen, infizieren sich fünf neu mit HIV. Deshalb soll das Tempo bei der Aids-Behandlung massiv beschleunigt, und die Kosten sollen gesenkt werden.

Ein Tröpfchen Blut genügt. Auf einer kleinen Kassette eingeschoben, kann das Gerät in Bügeleisenform namens "Daktari CD4" Klarheit schaffen. Es zählt in achteinhalb Minuten die CD4-Helferzellen im Blut, die bei der Immunschwäche rapide abnehmen. Ein schneller HIV-Test für weniger als zehn US-Dollar, verspricht der Mitarbeiter der kalifornischen Firma Daktari Diagnostics. Der Apparat soll in Kürze auf den Markt kommen, für rund 300 Dollar.

Solche transportablen Handgeräte mit Akkus möchte der frühere US-Präsident Bill Clinton bald überall in Afrika sehen. Etwa 15 Typen gibt es bereits. Das Ganze ist immer noch zu teuer, findet die Aids-Expertin von "Brot für die Welt", Astrid Berner-Rodoreda. Maximal vier Dollar dürfe ein Aids-Test kosten, um in ländlichen Gegenden Afrikas auf Dauer bezahlbar zu sein.

Sie will, dass auch die hoffnungsvollen Informationen dort in den Dörfern ankommen: Zum Beispiel, dass ein Paar, in dem ein Partner HIV-positiv ist, mit entsprechenden Medikamenten ein gesundes Kind bekommen kann. Unterdessen protestierte eine Gruppe aus Tansania plakativ gegen Korruption im Gesundheitswesen: "Ihr habt Blut an den Händen".

23. Juli 2010


Die Aids-Epidemie im Überblick- (Hintergrund)

Wien (epd). Am Freitag ging die 18. Welt-Aids-Konferenz in Wien zu Ende, auf der sich Tausende Wissenschaftler, Aids-Aktivisten und Politiker austauschten. Einige wichtige Ergebnisse im Überblick:

Impfstoff: Eine Schutzimpfung gegen Aids ist noch nicht in Sicht. Die Forscher sind aber optimistischer, nachdem 2009 ein erster klinischer Test an 16.000 Freiwilligen in Thailand eine Schutzwirkung von 31 Prozent ergab. Ein Problem ist, dass der HI-Virus sich rasch verändert. Gearbeitet wird auch an der Entwicklung von Antikörpern. Etwa ein Prozent der HIV-Infizierten verfügt über eine natürlichen Schutz gegen das Virus.

Aids-Therapie: Eine Kombination aus antiretroviralen Medikamenten verlängert das Leben der HIV-Patienten, indem sie die Viren im Körper zurückdrängt. Die Pillen müssen lebenslang genommen werden. HI-Viren schwächen das Immunsystem. Ein Indikator dafür ist die sinkende Zahl körpereigener Abwehrzellen (CD4). Bisher wurde die Therapie empfohlen, wenn der CD4-Wert unter 200 je Mikroliter Blut sank. Jetzt empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Therapie-Beginn bereits bei 350, um die Sterblichkeit zu senken. Zugleich sollen die weniger toxischen Wirkstoffe wie Zidovudine (AZT) und Tenofovir eingesetzt werden.

Entwicklungsländer: In Industrienationen haben fast alle Aids-Kranken Zugang zu Medikamenten. In Entwicklungsländern sind es 5,2 Millionen. Das ist erst ein Drittel der 15 Millionen, die nach den neuen Empfehlungen der WHO Arzneimittel brauchen. Ursprünglich wollte die Staatengemeinschaft bis 2010 allen Menschen, die es brauchen, Zugang zu Arzneimitteln verschaffen.

Kinder: Derzeit erhalten 355.000 HIV-positive Mädchen und Jungen eine antiretrovirale Therapie, rund 80.000 mehr als ein Jahr zuvor, aber laut WHO immer noch viel zu wenig. Die UN-Organisation empfiehlt jetzt einen Therapie-Beginn vier bis sechs Wochen nach der Geburt. Ohne Medikamente stirbt jedes zweite Kind, bevor es zwei Jahre alt wird. Weltweit 1,2 Millionen Jungen und Mädchen unter 14 Jahren leben mit HIV und Aids.

Mutter-Kind-Übertragung: Jedes Jahr werden 400.000 Babys mit HIV geboren. Die Infektion im Mutterleib, bei der Geburt und beim Stillen lassen sich laut dem UN-Aidsprogramm auf fünf Prozent senken, wenn die HIV-positive Mütter Medikamente in der Schwangerschaft und Stillzeit erhalten. Bis 2015 soll kein Baby mehr mit HIV geboren werden.

Frauen: Rund die Hälfte der 33,4 Millionen HIV-Infizierten weltweit sind Frauen. In Südafrika sind sechs von zehn Neu-Ansgesteckten Frauen und Mädchen. Für großes Aufsehen sorgte der erfolgreiche Test eines Vaginal-Gels, das Frauen vor einer HIV-Infektion beim Geschlechtsverkehr schützen soll. Das Mikrobizid-Gel mit dem antiretroviralen Wirkstoff Tenofovir senkte bei einer Erprobung in Südafrika die Ansteckungsrate um 39 Prozent.

Männer: Die Beschneidung bei Männern senkt das Risiko einer HIV-Infektion um rund 50 Prozent. Experten erklären das damit, dass die Schleimhautoberfläche kleiner ist, in die das Virus eindringen kann. Einige afrikanische Länder werben inzwischen mit Erfolg für die Beschneidung in speziellen Männerkliniken. Der Eingriff ist in Afrika bei Muslimen, aber auch in einigen nicht-muslimischen Kulturen ohnehin üblich.

Patente: Über einen Patent-Pool will die Initiative UNITAID Pharmakonzerne dafür gewinnen, früher und systematischer die Lizenzproduktion ihrer neuen Aids-Medikamente zuzulassen. Damit können legal und gegen Gebühren kostengünstige Generika für arme Länder erzeugt werden. Der Patent-Pool basiert auf Freiwilligkeit.

Geld: Der Globale Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria hofft auf 20 Milliarden US-Dollar (15,5 Milliarden Euro) für die nächsten drei Jahre. Er ist der Hauptfinanzierer von Aidsprogrammen in armen Ländern. Hilfsorganisationen werfen den reichen Staaten Zurückhaltung vor. Der größte Geber, die USA, froren ihren Beitrag für 2011 auf eine Milliarde Dollar (780 Millionen Euro) ein. Deutschland sagt für 2011 wieder 200 Millionen zu, legt sich aber für die Folgejahre nicht fest. Österreich, Gastgeber der Aids-Konferenz, zahlte nur 2001 eine Million Dollar (780.000 Euro) und will sich auch künftig nicht beteiligen. Im Oktober findet in den USA die Wiederauffüllungskonferenz des Fonds statt.

Menschenrechte: In einer "Wiener Erklärung" setzen sich die Teilnehmer der Aids-Konferenz für gleiche Rechte aller Männer, Frauen und Kinder ein, die HIV-infiziert oder besonders von Ansteckung bedroht sind. Besonders verurteilt wird die Diskriminierung von Homosexuellen, Prostituierten, Drogenkonsumenten und Häftlingen. Vielerorts sind sie bei Aids von Hilfen ausgeschlossen.

23. Juli 2010