Entwicklungsexperten warnen vor den Folgen der Preissprünge bei Getreide

Berlin (epd). Entwicklungsexperten warnen vor den Folgen der Preissprünge bei Getreide auf dem Weltmarkt. "Für die Welternährung bedeuten die explodierenden Weizenpreise kein gutes Zeichen", sagte Ralf Südhoff vom Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen in Berlin in einem epd-Interview. Zwei Drittel der Entwicklungsländer müssten heute Nahrungsmittel einführen und mit Devisen bezahlen. "Brot für die Welt" befürchtet eine Zunahme des Hungers.

Bereits im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Hungernden weltweit um 100 Millionen auf über eine Milliarde Menschen. Länder wie Ghana, Kamerun und Liberia sind nach Angaben des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) immer mehr auf Weizeneinfuhren angewiesen. Statt Hirse und Fladenbrot aus Mais würden dort zunehmend Weißbrot und inzwischen auch Nudeln gegessen, sagte der EED-Agrarhandelsexperte Francisco Mari in Bonn dem epd.

Die Ernte-Ausfälle um 25 Prozent infolge der schweren Dürre in Russland, dem drittgrößten Weizen-Exporteur der Welt, ist nach Einschätzung der Experten nicht der einzige Grund für die Preisspirale. Als ein Faktor gilt auch die Spekulation. "Auf der Getreidebörse ist im Moment die Hölle los", erklärte Mari.

Das locke den Blick der Spekulanten auch auf andere Lebensmittel und Agrarrohstoffe, was die Teuerung zusätzlich anheize. "Das nächste wird Reis sein", prophezeite Mari mit Hinweis auf die Jahrhundertflut in Pakistan, einem großen Reis-Exporteur.

Bei "Brot für die Welt" in Stuttgart beraten Fachleute bereits über die Konsequenzen der Preisspirale. Die Teuerung mache die Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in Afrika und Asien noch dringlicher, sagte ein Sprecher des evangelischen Hilfswerks, Rainer Lang. "80 Prozent der Lebensmittel, die auf der Welt verbraucht werden, werden immer noch von kleinen Bauern erzeugt."

Für die Kleinbauern müssten neue Anbaumethoden und Sorten entwickelt werden, damit die armen Länder sich auch besser selbst versorgen könnten und weniger vom Weltmarkt abhängig seien, sagte Lang. Dennoch habe man zu lange nur exportorientierte Großbetriebe unterstützt. Erst langsam setze ein Umdenken ein. "Aber natürlich haben auch die Regierungen der Entwicklungsländer eine Bringschuld", fügte Lang hinzu.

In Simbabwe liegt aus Sicht von "Brot für die Welt" die Landwirtschaft völlig darnieder, weil die unverantwortliche Politik von Präsident Robert Mugabe "verbrannte Erde" hinterließ. Heute brauchen 1,7 Millionen Simbabwer Nahrungsmittelhilfe aus dem Ausland, die durch den Preisanstieg von Getreide auf dem Weltmarkt natürlich stark verteuert.

Lang kritisierte den "Landhunger" der Agroindustrie als Gefahr für die Ernährungssicherheit. In Mosambik würden etwa Bauern von Weideland vertrieben, damit südafrikanische und brasilianische Konzerne Zuckerrohrplantagen für Treibstoffe anlegen könnten.

Beim Welternährungsprogramm beobachtet man das Auf und Ab der Getreidepreise mit Sorge. "Wir haben extrem sprunghafte Märkte und Preise, mit denen niemand so richtig kalkulieren kann", erklärte der Politikwissenschaftler Südhoff, der das Berliner Büro der UN-Organisation leitet. Nach einer Rekordernte 2009 und der wegen der Wirtschaftskrise flauen Nachfrage seien die Silos zwar gut gefüllt. Die Preise näherten sich aber wieder dem sehr hohen Niveau von 2008 an.

10. August 2010