Rheinische Kirche erinnert an ihre Ursprünge vor 400 Jahren

Duisburg (epd). Mit einer Festwoche in Duisburg erinnert die Evangelische Kirche im Rheinland vom 4. bis 12. September an ihre Ursprünge vor 400 Jahren. Die Beschlüsse der 1. Reformierten Generalsynode in der Duisburger Salvatorkirche im September 1610 seien "ziemlich sensationell" gewesen, sagte der rheinische Präses Nikolaus Schneider am Donnerstag in Duisburg. Die Gleichberechtigung von Geistlichen und Laien, die Selbstverwaltung der Gemeinden und die Kirchenleitung von unten nach oben gälten nicht nur in der rheinischen Kirche bis heute, sondern hätten auf die gesamte protestantische Kirche in Deutschland ausgestrahlt.

Auch die damals beschlossene "Armenfürsorge" und die Errichtung von Schulen würden noch heute als kirchliche Aufgaben verstanden, sagte Schneider, der auch amtierender Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Zur Evangelischen Kirche im Rheinland gehören zwischen Emmerich und Saarbrücken rund 2,8 Millionen Protestanten.

Die Landessynode der rheinischen Kirche will sich auf einer außerordentlichen Tagung am historischen Ort mit der Bedeutung der Beschlüsse von 1610 für heute beschäftigen. Im Mittelpunkt der Beratungen sollen die Themen presbyterial-synodale Ordnung, Bildung und Religionsfreiheit stehen. Während 1610 die Reformierten um Anerkennung gekämpft hätten, gehe es heute um religiöse Toleranz von Muslimen und die "Frage nach dem Umgang mit Fremden", sagte Schneider.

In der Salvatorkirche hatten sich vor 400 Jahren 28 Pfarrer und acht Laien aus den reformierten Gemeinden am Niederrhein getroffen und Beschlüsse zur Kirchenstruktur gefasst. Danach sollten die Gemeinden durch Presbyterien geleitet werden und ihre Pfarrer selbst wählen. Mit dieser "Kirchenleitung von unten nach oben" durch gleichberechtigte Theologen und Laien habe das Freiheitsverständnis der Reformatoren Eingang in die protestantische Kirchenordnung gefunden, hieß es.

26. August 2010


Überleben unter wechselnden Herren

Vor 400 Jahren wurde in Duisburg eine bis heute gültige Kirchenstruktur beschlossen

Von Marlene Grund und Esther Soth (epd)

Duisburg (epd). Am 7. September 1610 versammeln sich in der ehrwürdigen spätgotischen Duisburger Salvatorkirche 36 Männer. Die 28 Pfarrer und acht Ältesten aus den noch jungen reformierten Gemeinden am Niederrhein und dem Bergischen Land wollen eine Kirchenstruktur für ihre Konfession aufbauen, die in den machtpolitischen Ränkespielen auch bei wechselnden Landesherren bestehen kann. Sie ahnen nicht, dass ihre Entscheidung auf der ersten Reformierten Generalsynode auch 400 Jahre später noch die evangelische Kirche prägen wird.

Die Runde hat einen passenden Zeitpunkt abgewartet. "Sie nutzen die Gunst der Stunde", sagt Stefan Flesch, Archivdirektor der Evangelischen Kirche im Rheinland, die Anfang September mit einer Festwoche an die Ereignisse vor 400 Jahren erinnert.

Im Erbfolgestreit um das Herzogtum Jülich-Kleve-Berg schließen sich die Rivalen Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg (1572-1619) und Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1578-1653) zunächst zusammen, um ihre Interessen gegen den habsburgischen Kaiser zu verteidigen. Um weitere Verbündete zu gewinnen, schlagen die beiden lutherischen Fürsten einen religiösen Toleranzkurs ein und erkennen die katholische sowie "andere christliche Religionen" an.

Dass die reformierten Gemeinden damals mitgemeint waren, stehe nicht zweifelsfrei fest, sagt der Trierer Kirchengeschichtler Andreas Mühling. Doch die Reformierten nutzen ihre Chance: Angesichts wechselnder Machtverhältnisse streben sie eine über die bisherigen Provinzen hinausreichende eigene Organisation an, die sich auch gegenüber nicht wohlgesinnten Landesherren behaupten kann.

Vom 7. bis 11. September 1610 kommen dann die "Deputirten" aus den Provinzialsynoden Jülich, Kleve und Berg, den Reichsstädten Duisburg und Aachen, der Grafschaft Moers und benachbarten Gebieten nach Duisburg. Die erste Generalsynode beschließt, neben der Heiligen Schrift den Heidelberger Katechismus zur Grundlage der Glaubenslehre zu machen.

Kernstücke der Synodenbeschlüsse sind aber die Vereinbarungen zur künftigen Kirchenstruktur: Die Gemeinden werden von Presbyterien geleitet, wählen ihre Pfarrer selbst und betrachten Theologen und Laien als gleichberechtigt. Um die wachsende Kirche zu leiten, entsenden die Presbyterien der Gemeinden Vertreter zu den Klassikalkonventen (Kirchenkreis), diese entsenden wiederum Abgeordnete zur Provinzialsynode und von dort gehen Delegierte zur Generalsynode.

Presbyterien und Synoden verhandeln sämtliche "Kirchensachen" - von unten nach oben, in Gemeinschaft. Mit dieser Verfassung stehen die Reformierten am Niederrhein im Gegensatz zu den Landeskirchen ihrer Zeit, an deren Spitze die Landesherren stehen.

Eigentlich sollte die "Interims-Ordnung" lediglich schlechte Zeiten überbrücken, wie Mühling erläutert. Schon 1613 kippen die politischen Machtverhältnisse im Herzogtum Jülich-Kleve-Berg wieder. Es folgen jahrzehntelange Kontroversen, der dreißigjährige Krieg, Zeiten religiöser Verfolgung. Doch die presbyterial-synodale Ordnung bleibt. Die in den reformierten Gemeinden verankerte Kirchenstruktur findet Eingang in die 1835 eingeführte rheinisch-westfälische Kirchenordnung, die wiederum Vorbild für viele evangelische Landeskirchen ist.

Nach dem Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments setzt sich das presbyterial-synodale System im 20. Jahrhundert flächendeckend durch: In allen Landeskirchen werden die Gemeinden heute von gewählten Gremien geleitet - Presbyterien oder Kirchenvorständen. Überall gibt es zudem einen synodalen Überbau.

Als sich 1948 schließlich die rheinische Kirche selbstständig macht, legt sie der Kirchenordnung das presbyterial-synodale Prinzip zugrunde. Auch die westfälische Kirche schreibt für sich diese Grundordnung fest. Sie sei kein starres Prinzip, sondern könne neue Strömungen aufnehmen, begründet Mühling den Erfolg des 400 Jahre alten Modells. "1610 zeigt deutlich: Evangelische Kirche ist eine auf Dialog hin angelegte Kirche." Immer wieder müssten die vier Grundelemente - Gemeinde, Presbyterium, Synode und Kirchenleitung - neu ausbalanciert werden.

26. August 2010