Altbischof Huber: Staatskirchenrecht offen für den Islam

Berlin (epd). Der Berliner Altbischof Wolfgang Huber sieht in der anderen Verfasstheit des Islam keinen Grund, das geltende Staatskirchenrecht umzustellen. Diese Bestimmungen ließen Raum für unterschiedliche Formen der Selbstorganisation von Religion, sagte Huber am Mittwoch auf dem Deutschen Juristentag in Berlin. Dass der Islam keine Mitgliedsstrukturen wie die christlichen Kirchen hat, rechtfertige keine generelle Abschwächung der Möglichkeiten korporativer Religionsfreiheit sowie des öffentlichen Wirkens von Religionsgemeinschaften.

Neben dem Verhältnis von Staat und Religion sind Themen des Juristentages bis Freitag das Erbrecht, Leiharbeit und Mindestlöhne, Beschuldigtenrechte im Strafprozess sowie die Finanzmarktregulierung. An dem Treffen nehmen rund 3.000 Juristen teil.

"Wenn islamische Religionsgemeinschaften den Schritt zur Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht gehen wollen, ist dies ihr Recht", sagte der ehemalige Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland laut Redetext. Den Körperschaftsstatus können Religionsgemeinschaften erhalten, wenn sie durch Verfassung und Mitgliederzahl die Gewähr der Dauer und der Rechtstreue bieten. In einem Gutachten für den Juristentag empfiehlt der Bonner Staatsrechtler Christian Waldhoff, für Religionsgemeinschaften eine neue Rechtsform unterhalb des Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts, wie ihn die Kirchen haben, zu erwägen.

Huber bejahte das Recht der in Deutschland lebenden Muslime, Moscheen zu bauen. Im Blick auf Zahl, Größe und städtebauliche Dominanz von Moscheebauten empfahl er allerdings "ein maßvolles, auf Dialog und Transparenz angelegtes Verfahren". Eine derartige Verständigung wäre eine "deutsche Antwort" auf den schweizerischen Bürgerentscheid zum Minarettverbot.

Angesichts einer Polarisierung des religiösen Bewusstseins ergeben sich Huber zufolge für die Religionsgemeinschaften große Bildungsaufgaben: "Dass es einen guten, in der Schule fest verankerten Religionsunterricht, den islamischen Religionsunterricht eingeschlossen, gibt, liegt im wohlverstandenen Interesse der Religionsgemeinschaften wie des Staates." Ordentlicher Religionsunterricht sei für die Integration des Islam in das Angebot der Schule der bessere Wege als ein staatlich verantworteter Ethikunterricht für alle, argumentierte der ehemalige Berliner Bischof.

22. September 2010

Die komplette Rede im Wortlaut im Rheinischen Merkur vom 23. September


Verfassungsrechtler Kirchhof: Religion für Demokratie notwendig

Berlin (epd). Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof hält Religion für einen Grundpfeiler der Demokratie. Der Staat als Demokratie legitimiere sich aus der Kultur seiner Bürger, sagte der Heidelberger Jurist beim Deutschen Juristentag, bei dem am Mittwoch in Berlin über Religionskonflikte und staatliche Neutralität diskutiert wurde. Er sprach sich für eine "intensive Kultur des Dialogs" zwischen Staat und Religionsgemeinschaften aus.

Für einen freiheitlichen Staat seien "andere Quellen des Ethos" wie sie etwa die Religionen bieten, notwendig. Der Staat müsse sich darauf verlassen, dass es Institutionen wie Religionsgemeinschaften gibt, die Antworten auf die Sinnfrage geben, sagte Kirchhof weiter. Der Staat benötige ein "Fenster zur Ethik". Gleichzeitig fragte er, "wer tritt an die Stelle der Kirchen und der Religion, wenn diese in Deutschland nicht mehr kraftvoll sein sollten".

Kirchhof betonte das Grundrecht eines jeden Menschen auf Religion. Unter anderem sprach er sich dabei für einen Religionsunterricht an den Schulen aus. "Wenn junge Menschen die christliche Lehre nicht an den Schulen kennenlernen, dann halten wird diese Menschen dieses Grundrechts unmündig." Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen könnten folglich nicht entscheiden, ob sie die Religion für richtig oder nicht erachteten.

Der Berliner Juraprofessor Christoph Möllers betonte, dass alle Religionen in Deutschland den gleichen grundrechtlichen Schutz genießen. Er kritisierte, dass es in der neueren Praxis der Landesgesetzgebung etwa durch das Kopftuch-Verbot "Formen negativer Definition von Religion" gebe. Die Identifikation bestimmter Religionen mit einer festgefügten eigenen Religion schließe Angehörige anderer oder keiner Religion von einem "vermeintlichen Kernbestand der demokratischen Gemeinschaft aus".

Gleichzeitig warnte Möllers davor, an Schulen das Thema Religion auf den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach zu beschränken. "Offenheit gegenüber den religiösen Bedürfnissen der Schüler im Schulalltag werden auf absehbare Zeit notwendige Ergänzungen." Wenn Auseinandersetzungen über religiöses Verhalten vor den Gerichten landen, hätten die Beteiligten im Grunde schon versagt, sagte Möllers. Religionsspezifische Verbote wie etwa das Burka-Verbot in Frankreich stellten keine angemessene Antwort auf die religiös-weltanschauliche Vielfalt der Gesellschaft dar.

22. September 2010