Deutscher Juristentag berät über staatliche Antworten auf Religionskonflikte

Verfassungsrechtler Kirchhof: Religiöse Grundlagen der Gesellschaft bewahren

Berlin (epd). Ein zentrales Thema auf dem Deutschen Juristentag ist die Frage, wie Staat und Rechtsordnung auf Religionskonflikte antworten sollen. Der Berliner Rechtswissenschaftler Christoph Möllers hält den Status der Körperschaft öffentlichen Rechts für Religionsgemeinschaften für verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Status sei ein Angebot an Religionsgemeinschaften, sich zu organisieren und so in einen Dialog mit dem Staat zu treten, sagte der Jurist am Mittwoch in Berlin. Gleichzeitig sprach er sich dafür aus, Religionsgemeinschaften "andere Angebote" zu machen als den Körperschaftstatus.

In einem Gutachten für den Juristentag empfiehlt der Bonner Staatsrechtler Christian Waldhoff, für Religionsgemeinschaften eine neue Rechtsform unterhalb des Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts, wie ihn die Kirchen haben, zu erwägen. Den Körperschaftsstatus, der mit bestimmten Vergünstigungen verbunden ist, können Religionsgemeinschaften erhalten, wenn sie durch Verfassung und Mitgliederzahl die Gewähr der Dauer und der Rechtstreue bieten.

Ziel anderer Angebote sei es, für Religionsgemeinschaften, die ein geringeres Maß an Staatsnähe anstrebten, eine einfachere Alternative anzubieten, sagte Möllers weiter. Alle Religionen in Deutschland genießen nach seiner Einschätzung den gleichen grundrechtlichen Schutz.

"Wenn islamische Religionsgemeinschaften den Schritt zur Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht gehen wollen, ist dies ihr Recht", sagte der Berliner Altbischof Wolfgang Huber. Huber sieht in der anderen Verfasstheit des Islam keinen Grund, das geltende Staatskirchenrecht umzustellen. Diese Bestimmungen seien offen für unterschiedliche Formen der Selbstorganisation von Religion.

"Wir dürfen uns unserer Freiheit nicht so sicher sein, dass wir meinten, wir bräuchten unsere Grundlagen nicht zu pflegen", sagte der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof. In Deutschland sei eine intensive Kultur des Dialogs notwendig, wie er beispielsweise bei der Islamkonferenz geübt würde. Der Staat als Demokratie legitimiere sich aus der Kultur seiner Bürger und sei darauf angewiesen, diese Kultur nicht selbst hervorzubringen. Für einen freiheitlichen Staat seien "andere Quellen des Ethos" wie sie etwa die Religionen bieten, notwendig.

Kirchhof verwies auf das Grundrecht eines jeden Menschen auf Religion. Unter anderem sprach er sich dabei für den Religionsunterricht an den Schulen aus. Wenn junge Menschen die christliche Lehre nicht an den Schulen kennenlernten, könnten sie nicht entscheiden, ob sie die Religion für richtig oder nichtig erachteten.

Die Islamwissenschaftlerin und Juristin Hamideh Mohagheghi sieht angesichts von Überfremdungsängsten und in der Integrationsdebatte die Aufgabe des Staates in einer Moderatorenrolle. Bei Handlungsbedarf müsse der Staat die erforderliche Unterstützung einbringen, ohne jedoch "religiöse Deutungshoheit" zu beanspruchen.

Der Bonner Pfarrer Wolfgang Picken verwies auf die Rolle der Kirche in der Wertevermittlung und bei sozialen Aufgaben. Die Kirchen seien das größte soziale Netzwerk in Deutschland und als solche unverzichtbare Partner des Staates, sagte er.

Gleichzeitig kritisierte er eine zunehmende Benachteiligung etwa bei Ausschreibungsverfahren. Picken schloss nicht aus, dass es künftig immer mehr zu juristischen Auseinandersetzungen unter Bezug auf das Anti-Diskriminierungsgesetz zwischen Kirchen und staatlichen Stellen sowie gesellschaftlichen Gruppierungen kommen werde.

Huber bejahte zudem das Recht der in Deutschland lebenden Muslime, Moscheen zu bauen. Im Blick auf Zahl, Größe und städtebauliche Dominanz von Moscheebauten empfahl er allerdings "ein maßvolles, auf Dialog und Transparenz angelegtes Verfahren". Eine derartige Verständigung wäre eine "deutsche Antwort" auf den schweizerischen Bürgerentscheid zum Minarettverbot.

Neben dem Verhältnis von Staat und Religion sind weitere Themen des Juristentages bis Freitag das Erbrecht, Leiharbeit und Mindestlöhne, Beschuldigtenrechte im Strafprozess sowie die Finanzmarktregulierung.

23. September 2010