Medienethiker Schicha kritisiert Sensationsjournalismus

Köln (epd). Der Medienethiker Christian Schicha fordert eine zurückhaltende Berichterstattung über Amokläufe und Katastrophen wie die Massenpanik bei der Duisburger Loveparade. "Medien sollten trotz aller ökonomischen Sachzwänge immer auf Informationen und nicht auf Effekte setzen, um Glaubwürdigkeit und Vertrauen nicht zu verspielen", sagte der Düsseldorfer Medienprofessor am Mittwoch in Köln zum Auftakt des ersten Evangelischen Medienkongresses.

Bis Donnerstag diskutieren auf der Konferenz Journalisten, Politiker, Krisenbeauftragte und Theologen über ethische Fragen der Berichterstattung.

Schicha sagte, auf der Jagd nach den besten Quoten und Marktanteilen seien zunehmend "Boulevardisierung, Skandalisierung und bewusste Tabuverletzung die probaten Mittel". Zum Druck des Marktes kämen immer schlechtere Arbeits- und Einkommensbedingungen für Journalisten. "Dass dadurch die Qualität der journalistischen Tätigkeit leidet und die ethischen Maßstäbe nicht immer im Zentrum der Berichterstattung stehen, ist nachvollziehbar."

Der Medienbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Markus Bräuer, forderte die Einhaltung einer Grenze bei der "Jagd um die besten Bilder und die ersten Statements". Nach dem christlichen Menschenbild ende die journalistische Freiheit dort, "wo die Berichterstattung in Wort und Bild die Würde des Einzelnen verletzt".

Nach Einschätzung von WDR-Fernsehdirektorin Verena Kuhlenkampff können die Medien helfen, Unglücke und Katastrophen zu verarbeiten. "Die journalistischen Prinzipien Erklären, Abwägen, Einordnen und Analysieren unterstützen den Verständnisprozess", sagte sie.

Schicha betonte, Qualitätsjournalismus zeige Sachverhalte auf, ordne Zusammenhänge ein und vermittele Hintergründe. "Grundsätzlich sollte auf eine sensationelle, emotionalisierende Darstellung von Leid und Intimitäten verzichtet werden", betonte der Wissenschaftler und verwies auf den Pressekodex und die Empfehlungen des Deutschen Presserates.

Der Medienprofessor kritisierte unter anderem Interviews mit traumatisierten Schülern nach dem Amoklauf von Winnenden und das "Witwenschütteln", bei dem Angehörige von Opfern vor eine Kamera oder ein Mikrofon gezerrt würden. Opfer dürften auf Fotos und in Videos nicht klar zu erkennen sein. Kritisch sieht der Experte zudem, dass heute jeder nahezu alles ohne Belege ins Internet stellen könne.

Auch sogenannte Leserreporter, die etwa für die "Bild"-Zeitung "Prominente als Hobby-Paparazzi mit ihrer Handykamera abschießen oder Unglück und Katastrophen im Bild festhalten", sieht Schicha als ethisches Problem. Dies könne Persönlichkeitsrechte verletzen, zudem sei es häufig reiner Selbstzweck und es fehle die Einordnung durch Journalisten.

Veranstalter des Kongresses, der vom WDR unterstützt wird, ist die EKD. Am Mittwoch standen unter anderem Diskussionen mit dem EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider und ARD-Chefredakteur Thomas Baumann auf dem Programm.

20. Oktober 2010

1. Evangelischer Medienkongress