Ausstellung in Potsdam informiert über NS-"Kinder-Euthanasie"

Potsdam (epd). Mehr als 70 Jahre nach Beginn der systematischen Ermordung Behinderter durch das NS-Regime erinnert eine neue Ausstellung in Potsdam ab Freitag an die Opfer der "Kinder-Euthanasie". Die Dokumentation "Im Gedenken der Kinder - Die Kinderärzte und die Verbrechen an Kindern in der NS-Zeit" ist bis Mitte März im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zu sehen und soll anschließend in Leipzig, Berlin und Freiburg gezeigt werden.

Den "Euthanasie"-Tötungen der Nazis fielen ab 1939 mehr als 10.000 Kinder und Jugendliche zum Opfer. Die Ausstellung thematisiere die Einbindung der Kinderärzte in das NS-Vernichtungsprogramm, sagte Ausstellungskurator Thomas Beddies vom Institut für Medizingeschichte der Berliner Charité am Donnerstag in Potsdam.

Bei der Tötung ihrer Opfer sei es den Medizinern in der Regel nicht um die schmerzlose Beendigung individuellen Leidens gegangen, hieß es weiter. Ziel der Ärzte sei es vielmehr gewesen, in Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Rassenideologie das Allgemeinwesen von Menschen zu "befreien", die im NS-Jargon als "Ballastexistenzen" diffamiert wurden. "Das ist schlicht und einfach Mord gewesen", sagte Beddies.

Auf 30 Tafeln mit knappen Texten und Kopien von NS-Dokumenten sowie mit Film- und Tonbeiträgen informiert die Ausstellung über Opfer und Täter, über medizinische Experimente an Kindern und über sogenannte "Kinderfachabteilungen" in verschiedenen Städten, die an den Morden beteiligt waren. "Je jünger die Kinder waren, desto gefährdeter waren sie", betonte Beddies.

So sei in der Anstalt Brandenburg-Görden fast die Hälfte von rund 4.000 eingelieferten Kindern ermordet worden, von den Unter-Dreijährigen habe fast keines überlebt. Zum Teil seien die Kinder auch auf Bestellung für Forschungsvorhaben von Ärzten ermordet worden. Die Dokumentation wurde von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, der Brandenburgischen Historischen Kommission und dem Institut für Geschichte der Medizin der Berliner Charité erstellt.

Die Ausstellung wird am heutigen Donnerstag um 18 Uhr eröffnet und ist bis 13. März dienstags bis donnerstags von 10 bis 17 Uhr, freitags von 10 bis 19 Uhr sowie am Wochenende und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte am Neuen Markt in Potsdam zu sehen.

28. Januar 2011


"Im Gedenken der Kinder" - In Potsdam zeigt eine Ausstellung die Verstrickung der Kinderärzte in die NS-"Kinder-Euthanasie"

Von Yvonne Jennerjahn (epd)

Potsdam (epd). "Lebhafter kleiner Mongoloider, zappelt viel umher", steht in der Patientenakte. Und weiter: "Lacht, sobald man sich mit ihm beschäftigt." Der Eintrag stammt vom 2. Dezember 1943. Fünf Tage darauf wird das Kind aus der Anstalt Leipzig-Dösen in das ostsächsische Großschweidnitz verlegt, es folgen noch zwei Einträge über Erkältungen. Am 29. Dezember endet die Akte. "Exitus 15 Uhr", lautet der kappe Vermerk. Da war der Junge gerade elf Monate alt.

Das Dokument ist Teil der neuen Ausstellung "Im Gedenken der Kinder - Die Kinderärzte und die Verbrechen an Kindern in der NS-Zeit", die ab Freitag in Potsdam zu sehen ist. Mehr als 70 Jahre nach dem Beginn der systematischen Ermordung Behinderter und Kranker durch das NS-Regime erinnern die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, die Brandenburgische Historische Kommission und das Institut für Medizingeschichte der Berliner Charité mit der Dokumentation an die Opfer der "Kinder-Euthanasie".

Die Ausstellung zeige, wie sich die Kinderärzte in das NS-Programm zur Vernichtung sogenannter "Ballastexistenzen" einbinden ließen, sagt Ausstellungskurator Thomas Beddies von der Berliner Charité. "Es ist schlicht und einfach Mord gewesen." Und damit die Kinder doch noch von "Nutzen für die Volksgemeinschaft" waren, wurden sie vor ihrer Ermordung oft noch mit medizinischen Experimenten gequält.

Sie wurden mit Tuberkulose und anderen Krankheiten infiziert, lebenden Kindern wurde der Kopf für Gehirnuntersuchungen geöffnet, um "angeborenen Schwachsinn" zu erforschen. Fotos in der Dokumentation zeigen das Unbehagen der Kinder, die nicht wissen, was ihnen widerfährt, als sie im KZ Neuengamme ab Januar 1945 für TBC-Experimente missbraucht werden. 20 jüdische Kinder hatte der Arzt Kurt Heißmeyer (1905-1967) dafür ausgesucht. Kurz vor Kriegsende wurden sie im April in einem Keller erhängt.

Mehr als 10.000 Kinder und Jugendliche fielen den "Euthanasie"-Morden der Nazis zwischen 1939 und 1945 zum Opfer. Darunter waren auch die 60 Kinder, die in Brandenburg-Görden mit Gas ermordet wurden, damit die Neuropathologie in Berlin etwas zum Erforschen hatte: "Sie wurden auf Bestellung getötet, um an die Gehirne ranzukommen", fasst Beddies zusammen.

Auf 30 Tafeln mit knappen Texten und Kopien von NS-Akten sowie mit Film- und Tondokumenten informiert die Ausstellung über Opfer und Täter, über NS-Gesetze und Erlasse, über Einrichtungen und sogenannte "Kinderfachabteilungen" in verschiedenen Städten, die an den Morden beteiligt waren - Kaufbeuren, Berlin, Leipzig, Hamburg, Wien, Heidelberg und andere Orte.

"Je jünger die Kinder waren, desto gefährdeter waren sie", sagt Beddies. So sei in der Anstalt Brandenburg-Görden fast die Hälfte von rund 4.000 eingelieferten Kindern ermordet worden. Von den Unter-Dreijährigen habe fast keines überlebt.

Von den Tätern haben nach 1945 viele weiter Karriere gemacht: Hans Heinze (1895-1983), seit 1938 Leiter von Brandenburg-Görden, wurde 1954 Leiter der jugendpsychiatrischen Klinik in Hannover-Wunstorf. Ernst Wentzler (1891-1973), ärztlicher Berater der NS-Krankenmordaktion, hat nach 1945 als Kinderarzt in Hannoversch-Münden gearbeitet. Werner Catel (1894-1981), Direktor der Universitätskinderklinik in Leipzig, wurde 1954 Professor für Kinderheilkunde an der Universität Kiel.

Catel war auch am Tod des "lebhaften kleinen Mongoloiden" aus Sachsen beteiligt. "Am 13.10.43 Prof. Catel vorgestellt", steht in der Patientenakte. Einen Tag später wurde das Kind in die Anstalt Leipzig-Dösen eingewiesen. Damit war sein Schicksal besiegelt.

Die Ausstellung "Im Gedenken der Kinder" ist bis 13. März dienstags bis donnerstags von 10 bis 17 Uhr, freitags von 10 bis 19 Uhr sowie an Wochenenden und Feiertagen von 10 bis 18 Uhr im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte am Neuen Markt in Potsdam zu sehen. Anschließend soll die Dokumentation in Leipzig, Berlin und Freiburg gezeigt werden.

28. Januar 2011