"Die Kraft dieser Sprache wollen wir erhalten"

Drei Fragen an den Alttestamentler Christoph Levin zur Durchsicht der Lutherbibel

München (epd). Die überarbeitete Lutherbibel wird nach Ansicht des Theologieprofessors Christoph Levin eine religiöse Sprache behalten. "Wir bleiben stärker an der Ausgangssprache orientiert statt an der Zielsprache wie manche neueren Übersetzungen", sagte der Münchner Alttestamentler in einem epd-Gespräch.

Im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wird gegenwärtig der Text der Lutherbibel durchgesehen und leicht überarbeitet. Levin gehört dem vom Rat der EKD 2010 berufenen Lenkungsausschuss für dieses Projekt an. Die letzte Revision der Lutherbibel stammt aus dem Jahr 1984. Die durchgesehene Lutherbibel soll noch vor dem Reformationsjubiläum 2017 vorgestellt werden.

epd: Herr Levin, warum braucht die evangelische Kirche eine aktualisierte Ausgabe des Buches der Bücher?

Christoph Levin: Man kann die Lutherbibel nicht über Jahrzehnte ohne Durchsicht lassen. Die Exegese ist nicht stehen geblieben. An manchen Stellen haben wir auch neue Einsichten in die Textgrundlage gewonnen. Das muss für den Wortlaut berücksichtigt werden. Auch die katholische Einheitsübersetzung wird gerade überarbeitet. Der Zeitpunkt für eine Durchsicht ist günstig. Wir sind heute wieder konservativer als frühere Generationen. Wir sind vorsichtiger geworden, Änderungen anzubringen. Wir lernen den ursprünglichen Luthertext neu schätzen und erkennen, wie erstaunlich nahe er dem hebräischen und griechischen Ausgangstext steht.

epd: Wie wird sich der Bibeltext verändern?

Levin: Die Änderungen werden sich in ganz engen Grenzen halten, denn im Gegensatz zu einer Revision muss bei einer Durchsicht jede Abweichung begründet werden. In den Arbeitsgruppen wird abgestimmt. Die Beweislast liegt bei den Veränderungen. Im Zweifel wird die jetzige Fassung beibehalten.

Es ist darum auch gut, dass wir im Team arbeiten. Wenn es um die Bibel geht, ist kein Platz für Sondermeinungen und persönliche Eigenheiten. Es kann vorkommen, dass wir auch semantische Änderungen erwägen. In Jeremia 6,23 gab Luther ein bestimmtes Wort mit "Schild" wieder. Wahrscheinlich ist aber eine Art Schwert gemeint. Das wissen wir aus dem Vergleich mit altorientalischen Texten, die Luther noch nicht zur Verfügung hatte. Eine solche Änderung macht den Text genauer, wird aber kaum zu bemerken sein, weil der Rhythmus und der Gesamtsinn erhalten bleiben. Außerdem überprüfen wir die Stellung und den Wortlaut der Zwischenüberschriften, die fettgedruckten Kernstellen und die Verweise auf andere Bibelstellen, die es im Original ja alle nicht gibt.

epd: Was wird das Besondere an dieser neuen Lutherbibel sein?

Levin: Wir bleiben stärker an der Ausgangssprache orientiert statt an der Zielsprache wie manche neueren Übersetzungen. Wir haben heute gelernt, dass es eine Standardsprache nicht gibt. Deshalb bemühen wir uns nicht mehr um jeden Preis, die Gegenwartssprache zu treffen.

Die Bibel bezieht sich auf Erfahrungen, die über den Alltag und die Gegenwart hinausgehen. Die Sprache darf das zu erkennen geben und durchaus eine religiöse Sprache sein, wie es bei der Lutherbibel der Fall ist. Luther hatte einen vorzüglichen Sinn für Satzstellung und Rhythmus. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus dem Neuen Testament. Sollen wir übersetzen: "Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung", oder "Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes"? Die zweite Möglichkeit folgt eher unserem heutigen Sprachgebrauch. Dennoch ist die erste schöner - und zugleich evangelischer, denn sie betont die Erfüllung, nicht das Gesetz. Die Kraft dieser Sprache wollen wir erhalten. Sie ist die religiöse Heimat der evangelischen Christen.

07. März 2011