EKD-Ratsvorsitzender: Islam ist in Deutschland angekommen

Sarrazin verteidigt umstrittene Thesen bei Tagung in der Evangelischen Akademie Tutzing

Tutzing (epd). Der Islam ist nach Aussagen des Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, längst in Deutschland angekommen. "Wir haben lange nicht eingesehen, dass der Islam da ist", sagte Schneider auf der Frühjahrstagung des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing am Samstag. Jetzt müsse alles dafür getan werden, ihn zu integrieren. Damit widersprach Schneider dem früheren Bundesvorstand Thilo Sarrazin. Der umstrittene Islam-Kritiker verteidigte in einem Streitgespräch mit dem Publizisten Johano Strasser seine Thesen.

Die "Wurzeln der Kultur" in Deutschland seien nicht durch den Islam geprägt, sagte Sarrazin. Deutschland brauche qualifizierte Zuwanderer. Dies sei mit Muslimen kaum möglich, da unter ihnen eine "besondere Neigung" zur Bildungsferne und zum Ausbau von Parallelgesellschaften bestehe.

Strasser warf Sarrazin, gegen dessen Einladung es im Vorfeld der Tagung Proteste des muslimischen Zentralrates und der Grünen gegeben hatte, ein "unerträgliches Menschenbild" vor. In einem demokratischen Wertesystem dürfe der Mensch nicht nur als wirtschaftlicher Nutzfaktor gesehen werde, dem wegen Vererbung und Gruppenzugehörigkeit keine Möglichkeit der Entwicklung zugebilligt werde. Sarrazin gehe es nicht um Integration, sondern um Selektion. Seine Unterteilung in nützliche und unnützliche Menschen sei "völlig unerträglich".

Schneider plädierte dafür, auch praktische Fragen des religiösen Alltags von Muslimen wie etwa das Schächten und die Beerdigung ohne Sarg unaufgeregt zu behandeln. Grundlage für diese Diskussion müsse aber immer das Grundgesetz und die strikte Trennung von Kirche und Staat sein. Schneider forderte einen akademischen Islam, "der nicht aus der Türkei verpflanzt wird", sondern aus den deutschen Universitäten erwachse.

Für eine Reform des Islam sprach sich auch die Autorin und Psychologin Lale Akgün aus. Die liberalen Muslime müssten den Mut aufbringen, "den wissenschaftlich fundierten Islam zu vertreten", sagte die ehemalige Islam-Beauftragte der SPD-Bundestagsfraktion. "Warum soll der Islam stehenbleiben, wenn sich die Welt weiterbewegt?" Der Koran könne heute nicht mehr so verstanden werden wie im 7. Jahrhundert. "Männer und Frauen sind gleichberechtigt, Sex vor der Ehe ist in Ordnung, Schweinefleisch kann gegessen werden, Frauen können Imame werden."

Der Imam der Islamischen Gemeinde im oberbayerischen Penzberg, Benjamin Idriz, rief die Muslime auf, ihr Glaubensverständnis zu prüfen und gegen jede Radikalisierung ihrer Religion vorzugehen. "Terror ist nie eine Lösung, aber immer eine Sünde". Der Islam besitze einen "universellen Charakter" und die Fähigkeit, sich zu jeder Epoche und überall anzupassen, auch in Deutschland.

Der Berliner Autor Henryk M. Broder kritisierte, dass die Mehrheit der Muslime nicht in der Lage sei, ihre radikale Minderheit selbst zu disziplinieren. Dies überließen sie dem deutschen Staat. Es gehe darum, "ob Spielregeln, die für alle gelten, eingehalten werden." Die Frage, ob der Islam ein Teil von Deutschland ist, sei "albern". "Natürlich gehört er zu Deutschland."

Nach Erkenntnissen des Religions- und Kultursoziologen Detlef Pollack steht nur ein Drittel der deutschen Bevölkerung Muslimen positiv gegenüber. "Die meisten verbinden mit dem Islam die Benachteiligung der Frau, Fanatismus und Gewaltbereitschaft", sagte Pollack zum Auftakt der Tagung am Freitagabend. Einer repräsentativen Umfrage zufolge gesteht lediglich die Hälfte aller Befragten den Muslimen dieselben Rechte zu wie den Deutschen.

21. März 2011


Einigkeit trotz Streitgesprächs

Vertreter von Kirchen, Muslimenverbänden und Politik zählen den Islam zu Deutschland

Von Dirk Johnen und Achim Schmid (epd)

Tutzing (epd). Man war sich einig: Der Islam ist Teil Deutschlands. Einzig der frühere Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin störte die wohlgesitteten Debatten auf der Frühjahrstagung des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing. Sein Streitgespräch mit dem Publizisten Johano Strasser löste so heftige Reaktionen aus, dass sogar SPD-Politiker Hans Eichel, der seine letzte Tagung als Leiter des Politischen Clubs moderierte, eingreifen musste, um die Wogen zu glätten.

Sarrazin verteidigte seine umstrittenen Thesen über die historisch nicht begründete Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland und betonte, die Bundesrepublik brauche qualifizierte Einwanderer. Unter den zugewanderten Muslimen bestehe aber eine "besondere Neigung" zur Bildungsferne und zum Ausbau von Parallelgesellschaften. Die Einladung Sarrazins war im Vorfeld der Tagung scharf kritisiert worden.

Strasser warf Sarrazin ein "unerträgliches Menschenbild" vor. In einem demokratischen Wertesystem dürfe der Mensch nicht nur als wirtschaftlicher Nutzfaktor gesehen werde. Es gehe Sarrazin nicht um Integration, sondern um Selektion.

Ansonsten ging es im idyllischen Schloss am Starnberger See vor allem um Integrationsprobleme und -möglichkeiten. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, plädierte vor den rund 200 Teilnehmern für die Auseinandersetzung mit konkreten Fragen des religiösen Alltags der Muslime wie dem Schächten oder dem in Deutschland geltenden Sargzwang.

Der CDU-Politiker Rupert Polenz forderte die Kirchen auf, den Muslimen mehr beizustehen. Um das "Gift" aus der aktuellen Debatte zu nehmen, sollten die Kirchen als "Leumund bürgen", wenn der Islam als politisch gewaltsame Ideologie diffamiert werde.

Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, betonte, dass der Islam durch die vier Millionen Muslime nicht mehr aus Deutschland wegzudenken sei. Die Frage sei eher, ob Deutschland den Muslimen eine Chance gebe oder "sie direkt auf die Anklagebank schiebe und einen konstruktiven Dialog aus dem Wege gehe". Eine erfolgreiche Integration sei nicht von Religion oder Nation abhängig. Entscheidend sei, dass jeder, der in Deutschland leben wolle, das Grundgesetz akzeptiert und die Gesetze achtet.

Der SPD-Bezirksbürgermeister des sozialen Brennpunkts Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, schilderte Beispiele aus der Praxis. Nach seiner Erfahrung sei frühkindliche Bildung die beste Chance für eine gelungene Integration. In bildungsfernen Familien könnten die Eltern die Erziehung allein nicht leisten, weshalb Ganztagsschulen und eine Kindergartenpflicht vom ersten Lebensjahr an das Gebot der Stunde seien.

Wie weit der Weg zu einem vorurteilsfreien Miteinander noch ist, zeigte der Religionssoziologe Detlef Pollack. Nach einer repräsentativen Umfrage steht nur ein Drittel der deutschen Bevölkerung Muslimen positiv gegenüber. Die Mehrzahl verbinde mit dem Islam Benachteiligung der Frau, Fanatismus und Gewaltbereitschaft. Lediglich die Hälfte aller Befragten gestehe Muslimen dieselben Rechte zu wie Deutschen, sagte Pollack.

21. März 2011