Vor zehn Jahren wurde der Ethikrat berufen

Moralische Fragen in allen Schattierungen

Von Jutta Wagemann (epd)

Berlin (epd). Der Ethikrat wurde schon oft in die Krise geschrieben. Im August 2004 titelte die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung": "Nationaler Ethikrat in der Identitätskrise". Vor knapp zwei Monaten schrieb die "Süddeutsche Zeitung" zur jüngsten Stellungnahme des Ethikrates: "Und keiner hört mehr hin". Vor zehn Jahren, am 2. Mai 2001, wurde das Beratungsgremium von der damaligen rot-grünen Bundesregierung berufen. Es liefert seitdem fundierte und differenzierte Stellungnahmen zu schwierigen Themen der Lebenswissenschaften ab - und behauptet sich trotz aller Unkenrufe.

Bei der Berufung des Nationalen Ethikrates per Beschluss des rot-grünen Kabinetts reagierten nicht nur Oppositionspolitiker skeptisch, sondern auch Abgeordnete von SPD und Grünen. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) rechtfertigte die Anbindung an die Regierung, da das 25-köpfige Gremium von der operativen Politik nicht abgeschnitten sein dürfe. Das bedeute aber nicht, dass der Ethikrat am Gängelband der Regierung geführt werde.

Genau dies mutmaßten seine Kritiker. Nach dem Regierungswechsel zur großen Koalition zog die Union Konsequenzen aus ihrer bisherigen Kritik am Ethikrat. Das Gremium wurde in Deutscher Ethikrat umbenannt und bekam eine gesetzliche Basis. Im April 2008 konstituierte sich der neue Ethikrat mit 26 Mitgliedern aus Wissenschaft, Kirchen und Politik, paritätisch von Bundesregierung und Bundestag berufen. Aktive Politiker sind nicht vertreten. Die Hälfte der Mitglieder gehörte bereits dem Nationalen Ethikrat an.

Durch die offene Berufung der Mitglieder sei das Gremium transparenter geworden, lobt der katholische Moraltheologe Eberhard Schockenhoff, der seit 2001 dem Ethikrat angehört. Er hält den Ethikrat für auf Dauer notwendig, "angesichts des wachsenden Drucks auf eine plural verfasste Gesellschaft, die durch ethischen Pluralismus geprägt ist". Solche Ausdrucksweise findet sich auch in den Stellungnahmen des Ethikrates wieder. Statt plumper Schwarz-Weiß-Zeichnung werden alle Schattierungen eines Themas sorgsam ausgebreitet.

"Zuweilen eine zu dominante Rolle der eigenen, persönlichen Haltung im Diskussionsprozess" sieht die Medizinethikerin Christiane Woopen. "Wir müssten uns noch stärker von dem gemeinsamen Interesse an Lösungen leiten lassen, die der Gesellschaft zuträglich sind", fordert die stellvertretende Vorsitzende selbstkritisch. Insgesamt sieht Woopen die Entwicklung des Gremiums positiv, auch in der öffentlichen Wahrnehmung.

Minderheitsvoten fanden sich auch schon in den Stellungnahmen des Nationalen Ethikrates. Diese Tendenz setzte sich im Deutschen Ethikrat fort. Vor allem bei der ersten Stellungnahme, zum schwierigen Thema anonyme Geburt, verhakten sich die Mitglieder. Zu Beginn der Arbeit des Deutschen Ethikrats kam Konkurrenzverhalten zwischen alten und neuen Mitgliedern hinzu. Das habe sich aber gelegt, sagt Schockenhoff. Inzwischen kenne man häufig den Standpunkt des Gegenübers.

In drei Jahren hat das Gremium vier Stellungnahmen veröffentlicht: Dem Text zu Babyklappen folgten Empfehlungen zu Humanbiobanken, zu Rationierung im Gesundheitswesen und zu Präimplantationsdiagnostik (PID). Nur in der jüngsten, Anfang März veröffentlichten Stellungnahme zur PID griff der Ethikrat ein politisch aktuelles Thema auf, so dass die Resonanz groß war. Die anderen Stellungnahmen verpufften weitgehend.

Die Mitglieder halten das nicht für problematisch. Sie pochen auf die Unabhängigkeit des Ethikrates, der selbst Themen setzen kann. Woopen sieht darin sogar einen Vorteil: "Der Ethikrat muss sich keiner Mode unterwerfen."

29. April 2011