Berliner Bischof: Historische Leistungen Ostdeutscher anerkennen

Berlin (epd). Zum 50. Jahrestag des Mauerbaus hat Berlins evangelischer Bischof Markus Dröge eine stärkere Anerkennung der Leistungen von Ostdeutschen gefordert. "Die historische Leistung der Menschen in den neuen Bundesländern wird im Westen noch zu wenig gewürdigt", sagte Dröge dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es sei viel von der "Mauer in den Köpfen" geredet worden. "Es gibt aber auch eine Barriere in der Seele", erklärte der Bischof. Wer in der DDR aufgewachsen sei, fühle bis heute anders als ein Westler.

Dröge erinnerte an die Einschnitte durch den Mauerbau am 13. August 1961 für das kirchliche Leben in Berlin: "Die Mauer ging mitten durch unsere Kirche hindurch." Kirchengemeinden seien geteilt worden, die Bischöfe Otto Dibelius und später Kurt Scharf hätten nicht mehr in den Ostteil Berlins reisen dürfen. "In Ost-Berlin wie in der ganzen DDR waren Mitglieder der Kirche staatlichen Repressionen ausgesetzt", sagte der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

Seine Landeskirche wolle das Erbe der friedlichen Revolution bewahren, die zum Sturz der Mauer geführt hat, kündigte Dröge an. "Wir bleiben eine Kirche, die gesellschaftlich aktiv ist, auch wenn sie kleiner wird", sagte er. Dröge steht an der Spitze einer Landeskirche mit rund 1,1 Millionen Protestanten in Berlin, Brandenburg und im Ostteil Sachsens.

06. August 2011


"Mauer in den Köpfen" und "Barriere in der Seele" überwinden

Drei Fragen an Berlins evangelischen Bischof Markus Dröge

epd-Gespräch: Thomas Schiller

Berlin (epd). Berlins evangelischer Bischof Markus Dröge sieht zwischen vielen Ost- und Westdeutschen nicht nur eine "Mauer in den Köpfen", sondern auch eine "Barriere in der Seele". "Die historische Leistung der Menschen in den neuen Bundesländern wird im Westen noch zu wenig gewürdigt", sagt der oberste Repräsentant der Protestanten in Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz zum 50. Jahrestag des Mauerbaus. Seine Kirche zeige, dass sie das Erbe der friedlichen Revolution bewahre, die 1989 zum Fall der Mauer geführt hat. Sie bleibe gesellschaftlich aktiv, auch wenn sie kleiner werde.

epd: Welche Auswirkung hatte der Mauerbau am 13. August 1961 auf das kirchliche Leben in Berlin?

Dröge: Von der Teilung war die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg besonders betroffen. Die Mauer ging mitten durch unsere Kirche hindurch. Kirchengemeinden wurden geteilt, Familien und Freunde getrennt, gewachsene Seelsorgebeziehungen zerbrachen. Der Briefverkehr wurde von der Stasi kontrolliert. Der damalige Bischof Otto Dibelius und sein Nachfolger Kurt Scharf wurden von den DDR-Behörden nicht mehr nach Ost-Berlin gelassen. Die durch die Teilung entstandenen beiden Regionalsynoden entschieden sich 1970 dafür, das kirchliche Leben unabhängig voneinander zu gestalten. Die geistliche Gemeinschaft aber wurde bewahrt. 1972 wählte die Synode der Ost-Region Albrecht Schönherr zum Bischof. In Ost-Berlin wie in der ganzen DDR waren Mitglieder der Kirche staatlichen Repressionen ausgesetzt.

epd: Aus kirchlichen Gruppen kamen die Impulse, die zum Fall der Mauer führten. Was ist vom Geist der friedlichen Revolution heute noch in den Gemeinden spürbar?

Dröge: Die Kirchen boten einen Freiraum für kritisches Denken. Man konnte offen reden, wie man in der DDR leben wollte. Die sogenannten Umweltgruppen forderten mit Verweis auf die Schlussakte von Helsinki aus dem Jahr 1975 alle Freiheitsrechte ein. In der Rückschau ist es der Stolz, mit der Bergpredigt Politik gemacht zu haben. Der Satz "Selig sind die Friedfertigen" hat zu dem Ruf auf den Straßen geführt "Keine Gewalt". Anders als wir es zurzeit in Nordafrika erleben, wurde so eine friedliche Revolution möglich. Jetzt steht über dem Reformprogramm unserer Kirche der Satz "Ihr seid das Salz der Erde" aus demselben Kapitel der Bergpredigt. Damit zeigen wir, dass wir das Erbe der friedlichen Revolution bewahren. Wir bleiben eine Kirche, die gesellschaftlich aktiv ist, auch wenn sie kleiner wird.

epd: Was kann die Kirche dazu beitragen, um die noch verbliebenen Gegensätze zwischen Ost und West anzugleichen?

Dröge: Es ist viel von der Mauer in den Köpfen geredet worden. Es gibt aber auch eine Barriere in der Seele. Wer in der DDR aufgewachsen ist, fühlt bis heute anders als ein Westler. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz war die erste Landeskirche, die Ost und West verbunden hat. Ihre Mitglieder haben seit dem Mauerfall Enormes geleistet. Sie haben erlebt, dass die Barriere in der Seele überwunden werden kann. Heute gestalten Menschen mit Ost- und Westbiografie gemeinsam das kirchliche und gesellschaftliche Leben. Die historische Leistung der Menschen in den neuen Bundesländern wird im Westen noch zu wenig gewürdigt. Kirchliche Ost-West-Partnerschaften tragen bis heute dazu bei, verbliebene Gegensätze bewusstzumachen und Verständnis zu wecken. Sie sind kein Auslaufmodell.

06. August 2011