Bischöfin erhofft sich von Reformationsjubiläum 2017 Selbstbewusstsein für Mitteldeutsche Kirche

Magdeburg (epd). Die Bischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Ilse Junkermann, sieht im Reformationsjubiläum 2017 eine Chance für das innerdeutsche Zusammenwachsen. "Das Lutherjubiläum bietet die Möglichkeit, dass Menschen in den Osten Deutschlands kommen, sich ein eigenes Bild machen und ihre Vorurteile korrigieren", sagte die Bischöfin im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auf dem Gebiet der EKM liegen die Luther-Orte Wittenberg, Eisleben, Erfurt und Eisenach mit der Wartburg.

Dem Großereignis begegnet Junkermann auch mit Skepsis: "Wir müssen sehr darauf achten, was möglich ist." Es sei darauf zu achten, welche Kräfte zu aktivieren seien und wo man sich überfordere. "Wir überlegen derzeit, wie konkret in Wittenberg gefeiert wird", sagte die Bischöfin. Offen sei die Frage, ob es eine große Zentralveranstaltung vergleichbar zu einem katholischen Weltjugendtag geben solle. Sie warnte vor "Veranstaltungsformaten, die abschreckend wirken können und kirchenkritische Einstellungen verstärken".

Für die Mitteldeutsche Kirche bedeutet das Reformationsjubiläum nach Einschätzung ihrer obersten Theologin eine Chance, ihren gesellschaftlichen Anspruch zu festigen. "Die Kirche hat einen grundsätzlichen öffentlichen Auftrag." Dies sei nicht bei allen im Innersten verankert, auch wenn es ein hohes politisches Engagement während der Wende 1989 gegeben habe. "Für eine Kirche in einer extremen Minderheitssituation birgt das die Chance, Selbstbewusstsein zu entwickeln", sagte die Bischöfin, die an der Spitze von rund 850.000 Protestanten in Sachsen-Anhalt und Thüringen steht.

Junkermann mahnte eine Konzeption der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für die Lutherdekade an. Sie bekräftigte ihre Kritik an der Verfahrensweise zur Benennung der früheren EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann als Botschafterin für das Reformationsjubiläum. Sie begrüße die Personalentscheidung, hätte sich aber vorher zunächst einen Konsens mit der EKD über die Ziele gewünscht. Das Konzept für 2017 beschäftigt derzeit die kirchlichen Gremien. Der Beratungsprozess der Landeskirchen und der EKD ist noch nicht abgeschlossen.

Die kritischen Äußerungen des Wittenberger Theologen und Bürgerrechtlers Friedrich Schorlemmer an Aktionen der Lutherdekade wertete Junkermann als eine Belebung der öffentlichen Aufmerksamkeit: "Kritik ist die Hefe der Demokratie. Und wir haben zu wenige Leute, die so wie Schorlemmer kritisieren, provozieren und zuspitzen können." Als Beispiel nannte sie Schorlemmers beißende Kritik an einer Kunstaktion vor dem Wittenberger Rathaus mit kleinen bunten Lutherfiguren aus Kunststoff: "Sie hat viel Publicity gebracht, die öffentliche Diskussion angeheizt und die Aufmerksamkeit für die gesamte Aktion letztlich gefördert."

30. August 2011


Das Interview im Wortlaut:

Mitteldeutsche Bischöfin: Reformationsjubiläum ist "Chance für das innerdeutsche Zusammenwachsen"

epd-Gespräch: Thomas Schiller und Karsten Wiedener

Magdeburg (epd). Vom Reformationsjubiläum im Jahr 2017 erwartet die Bischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Ilse Junkermann, eine Stärkung des Selbstbewusstseins in ihrer Kirche. Die erwarteten Besucherströme zum Gedenken an den Thesenanschlag Luthers vor 500 Jahren böten "eine weitere Chance für das innerdeutsche Zusammenwachsen". Im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) warnt die Theologin zugleich vor Überforderungen und vor abschreckenden Veranstaltungsformen.

epd: Welche Chancen bietet das Reformationsjubiläum 2017 für die evangelische Kirche?

Junkermann: Für uns in der Mitteldeutschen Kirche bedeutet es, die Schätze der Reformation aus Geschichte und Gegenwart zu entdecken. Zu diesen Schätzen gehört die Kirchenmusik, aber auch das gesamte Bildungswesen oder unsere Kirchenbauten. Für eine Kirche in einer extremen Minderheitssituation birgt das die Chance, Selbstbewusstsein zu entwickeln.

epd: Fehlt es daran?

Junkermann: Es ist auch die Chance, zu entdecken, dass Kirche einen gesellschaftlichen Anspruch hat und ihr Wort wichtig ist. Für unsere Gemeinden bietet das die Gelegenheit, ihr Selbstverständnis stärken zu lassen nach 70 Jahren Diktaturerfahrung. Die Kirche hat einen grundsätzlichen öffentlichen Auftrag. Das ist nicht bei allen im Innersten verankert, auch wenn es ein hohes politisches Engagement während der Wende gab.

epd: Ist Ihre Kirche für den Ansturm von Protestanten aus aller Welt gerüstet?

Junkermann: Das Lutherjubiläum bietet die Möglichkeit, dass Menschen in den Osten Deutschlands kommen, sich ein eigenes Bild machen und ihre Vorurteile korrigieren. Auch beim Kirchentag in Dresden haben sich viele Menschen erstaunt darüber geäußert, dass vieles anders aussieht als sie dachten. Die Reformationsdekade bietet daher auch eine weitere Chance für das innerdeutsche Zusammenwachsen.

epd: Welche Auswirkungen hat das auf die Landeskirche?

Junkermann: Wir holen tief Luft und schauen, wie wir das mit unserer begrenzten Kraft bewältigen können. Wir müssen sehr darauf achten, was möglich ist: Welche Kräfte können wir aktivieren und wo überfordern wir uns? Wo werden wir überformt von Veranstaltungsformaten, die abschreckend wirken können und kirchenkritische Einstellungen verstärken?

epd: Was meinen Sie damit?

Junkermann: Wir überlegen derzeit, wie konkret in Wittenberg 2017 gefeiert wird. Soll es eine große, zentrale Veranstaltung geben, vergleichbar mit einem katholischen Weltjugendtag? Verschiedene Formate sind zurzeit in der Diskussion.

epd: Wie bereitet sich die Landeskirche vor?

Junkermann: Wir haben eine Projektstelle, die dafür sorgt, dass die gemeindlichen, kommunalen und landespolitischen Aktivitäten vernetzt werden. Wir haben den Propst in Wittenberg, und die Synode hat beschlossen, im nächsten Jahr einen Beauftragten der Landesbischöfin für die Lutherdekade zu ernennen. Das hilft uns, angesichts der vielen Repräsentationspflichten ein guter Gastgeber zu sein. Wir müssen die Lasten verteilen. Eine erschöpfte Landesbischöfin ist keine gute Gastgeberin.

epd: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der EKD?

Junkermann: Die Zusammenarbeit ist gut, vor allem dort, wo sie unmittelbar funktioniert. Wir bauen auf eine gute Besetzung der Geschäftsführung für die Evangelische Lutherstiftung in Wittenberg, in der wir mit der EKD eng zusammenarbeiten - ebenso im Kuratorium Luther 2017, in dem auch die Ministerpräsidenten der Länder vertreten sind. In Wittenberg selbst gibt es ein exquisit funktionierendes Netzwerk mit der Stiftung Luthergedenkstätten, dem Lutherischen Weltbund, der Stadt, der EKD und anderen Institutionen.

epd: Die EKD hat Margot Käßmann als Botschafterin für die Lutherdekade ernannt. Sie soll im nächsten Jahr ihre Arbeit aufnehmen. Welche Erwartungen haben Sie an sie?

Junkermann: Von Margot Käßmann erhoffe ich mir, dass sie über ihre vielen weltweiten und ökumenischen Kontakte die Einladung, ins Kernland der Reformation zu kommen, weiterträgt. Außerdem kann sie Menschen für das Evangelium begeistern, die wir in unserer klassischen kirchlichen Arbeit weniger erreichen.

epd: Vor der Ernennung von Frau Käßmann hatte es Vorbehalte in Ihrer Landeskirche gegeben. Warum?

Junkermann: Wir hatten Nachfragen an die Konzeption des Rates der EKD. Wir als Landeskirche hatten unsere Ziele formuliert, aber die Frage bestand: Wie sieht das für die EKD aus? Gibt es darüber einen Konsens, und wie passt die Lutherbeauftragte in diese Konzeption hinein? Jetzt ist zunächst die Personalentscheidung gefallen, die ich auch begrüßt habe. Aber ich werde nach wie vor die Konzeption anmahnen.

epd: Der bisherige EKD-Vertreter in Wittenberg, Prälat Stephan Dorgerloh, ist jetzt Kultusminister in Sachsen-Anhalt. Kann Margot Käßmann an seine Arbeit anknüpfen?

Junkermann: Es ist ganz deutlich, dass Margot Käßmann in Wittenberg die bisherige Stelle von Prälat Stephan Dorgerloh nicht ersetzen wird und auch nicht ersetzen kann. Eine wesentliche Aufgabe war ja viel Verknüpfungsarbeit mit Kommunen, Touristikunternehmen und vielen anderen. Unabhängig davon, ob der Nachfolger Dorgerlohs als Geschäftsführer der Evangelischen Wittenbergstiftung wieder den Titel Prälat trägt: Wir werden aufmerksam begleiten, wie die Aufgabenverteilung zwischen Margot Käßmann und dem künftigen EKD-Vertreter in Wittenberg vor Ort aussieht.

epd: In Wittenberg vor Ort sitzt auch Pfarrer Friedrich Schorlemmer, der sich in Bezug auf die Lutherdekade vor allem kritisch zu Wort meldet. Sind Sie mit ihm im Gespräch?

Junkermann: Wir treffen uns ab und zu bei Veranstaltungen. Er ist nicht eingebunden und wird sich nicht einbinden lassen. Es wäre auch nicht gut, wenn wir dies versuchen sollten. Es ist ja wichtig, kritische Stimmen zu hören und sich nicht immer nur in Zirkeln von Gleichgesinnten zu bewegen. Seine beißende Kritik an der Kunstaktion mit den kleinen Lutherfiguren vor dem Wittenberger Rathaus war ganz wunderbar - sie hat viel Publicity gebracht, die öffentliche Diskussion angeheizt und die Aufmerksamkeit für die gesamte Aktion letztlich gefördert. Kritik ist die Hefe der Demokratie. Und wir haben zu wenige Leute, die so wie Schorlemmer kritisieren, provozieren und zuspitzen können.

30. August 2011