EKD-Ratschef dämpft Erwartungen an Gespräch mit dem Papst

Köln (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, warnt vor zu hohen Erwartungen an das Treffen evangelischer Spitzenvertreter mit Papst Benedikt XVI. am 23. September in Erfurt. Die Begegnung im Erfurter Augustinerkloster sei zwar ein wichtiges Datum, sagte Schneider dem Kölner Internetportal "domradio.de". Seine kirchengeschichtliche Bedeutung hänge aber davon ab, ob es Anstöße bringe, "die Perspektiven öffnen und für unser gemeinsames Glaubenszeugnis wesentlich werden". Konkrete Fortschritte etwa bei konfessionsverschiedenen Ehen oder dem unterschiedlichen Verständnis von Kirche seien kaum möglich.

Schneider will im Gespräch mit dem Papst beim erreichten Stand der Ökumene anknüpfen, etwa der gegenseitigen Anerkennung der Taufen oder der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Ein besonderes Anliegen sei ihm die Situation von Menschen, die in ihren Ehen und Familien "aus den Traditionen beider Kirchen heraus ihre Identität, ihren Glauben gewinnen", betonte der Präses der rheinischen Landeskirche und mahnte: "Wir haben als Kirchen hier geradezu die Pflicht, das Leben unserer Gläubigen nicht unnötig zu erschweren, sondern es reich zu machen und ihnen Möglichkeiten zu eröffnen, es gemeinsam zu leben." Diese Aufgabe wolle er ansprechen.

Der Spitzenrepräsentant des deutschen Protestantismus kann sich auch vorstellen, dass der Papst im Augustinerkloster als Wirkungsstätte von Martin Luther (1483-1546) auf den Reformator zu sprechen kommt: "Das ist eigentlich notwendig." Er selbst verstehe Luther als ein "Scharnier zwischen unseren beiden Kirchen". Seine Theologie verbinde evangelische und katholische Christen im Kern und sei Ausdruck ihrer Gemeinsamkeit. "Martin Luther wollte die Kirche reformieren, nichts anderes", sagte Schneider.

Der EKD-Ratschef bekräftigte die Absicht, dem 500. Jubiläum der Reformation im Jahr 2017 einen starken ökumenischen Akzent zu geben: "Es soll keine Protz- und Jubelfeier werden in dem Sinne, dass wir unser Licht hell scheinen lassen vor dem dunklen Hintergrund des mittelalterlichen Katholizismus und des verrotteten Papsttums zu dieser Zeit." Das Jubiläum solle vielmehr "kräftiges Glaubenszeugnis für die Gegenwart werden, und das geht nur ökumenisch". Beide Kirchen seien zu einem gemeinsamen Zeugnis herausgefordert, unterstrich Schneider und verwies darauf, dass es in Ostdeutschland nur noch eine christlichen Bevölkerungsanteil von "20 Prozent plus X" gebe.

Das Papstamt selbst bleibt für den rheinischen Präses ein schwieriges Thema: Mit dem Amt verbänden sich Ansprüche, "die wir kritisch sehen, denen wir so nicht folgen können". Benedikt XVI. trifft sich im Rahmen seines Deutschland-Besuchs vom 22. bis 25. September auch mit einer EKD-Delegation. Für die Begegnung am 23. September ist eine halbe Stunde vorgesehen. Anschließend wird es einen ökumenischen Wortgottesdienst in der Erfurter Klosterkirche mit 300 geladenen Gästen geben. Dabei wird die Präses der EKD-Synode, Katrin Göring-Eckardt, ein geistliches Wort zur Begrüßung sprechen, die Predigt hält Papst Benedikt.

30. August 2011


Das Interview im Wortlaut:

"Das wird in die Annalen eingehen"

Präses Schneider zum Deutschlandbesuch des Papstes

Im Rahmen des Deutschlandbesuchs des Heiligen Vaters wird es in Erfurt auch ein ökumenisches Gespräch mit Vertretern der Evangelischen Kirche Deutschlands geben. Die Federführung des Gesprächs im Augustinerkloster hat der Ratsvorsitzende der EKD, Präses Nikolaus Schneider. Im domradio.de-Interview äußert er sich zu seine Erwartungen an den Papstbesuch und möglichen Fortschritten in der Ökumene.

domradio.de: Herr Präses Schneider, der Papstbesuch steht unmittelbar bevor - am 23. September werden Sie ihn mit einer Delegation an der Pforte des Augustinerklosters in Erfurt begrüßen. Wird diese Begegnung in die Kirchengeschichtsbücher eingehen?

Präses Schneider: Das wird ein wenig von den Ergebnissen abhängen. Aber es wird ein wichtiges Datum sein, das sicher auch in die Annalen eingehen wird. Inwieweit es dann kirchengeschichtlich eine Rolle spielen wird, so dass es dann beachtet wird und eine breitere Würdigung erfährt, das hängt natürlich davon ab, ob dieses Treffen gelingt, ob von diesem Treffen Anstöße ausgehen, ob wir Dinge sagen können, die dann auch wirklich gehört werden und die für die Menschen wichtig sind und die einfach Perspektiven öffnen und für unser gemeinsames Glaubenszeugnis wesentlich werden.

domradio.de: Allein der Ablauf dieser Begegnung ist ja im Vorfeld schon sehr spannend gewesen. Können Sie uns sagen, wie der Ablauf konkret sein wird?

Präses Schneider: Also wir werden zunächst einmal im Kloster zusammenkommen und uns an dem Ort treffen, an dem Martin Luther in den Orden der Augustiner-Eremiten aufgenommen wurde. Was ist natürlich ein Ort, der spricht. Da wird es den Austausch zwischen den Delegationen geben, das ist also wirklich der kleine Kreis. Da wird es ein Statement des Papst geben und ein Statement von mir, da wird es auch die Möglichkeit geben, Fragen an den Papst zu stellen. Danach gehen wir dann in die Kirche, wo es einen Wortgottesdienst geben wird. Im Rahmen dieses Gottesdienstes werden wir den Papst um die Predigt bitten. Für uns wird dann auch Katrin Göring-Eckhard als Präses der Synode das Wort ergreifen. Das war auch mir wichtig, deutlich zu machen, dass hier der Rat und die Synode für die EKD sprechen, und die Mitglieder der Kirchenkonferenz sind eben auch zu diesem Gottesdienst eingeladen. Das sind alles Elemente, die bei der Planung wichtig waren. Und das war eben doch eine sehr schöne Erfahrung, dass der Papst das möglich gemacht hat. Im Vorfeld ging es ein bisschen hin und her, welches Zeitbudget zur Verfügung stehen wird, welches der richtige Ort ist, was dem Papst an zeitlicher Belastung zumutbar ist, auch an Belastung durch den Ortswechsel - und es ging auf den Papst selbst zurück, dass nun dieses Format gefunden wurde, das auch unseren Wünschen und unser Vorstellung entspricht.

domradio.de: Um welche Inhalte kann es in dieser kurzen Zeit gehen? Mit welchen Erwartungen gehen Sie in dieses Gespräch?

Präses Schneider: Das eine ist der Ort selbst. Das Augustinerkloster in Erfurt liegt in einer Stadt in den Neuen Bundesländern, der Anteil der Christinnen und Christen dort liegt bei 20% plus X und zwar evangelisch und katholisch zusammengenommen. Und hier ist ein Bibelwort, das man sofort versteht, nämlich das hohepriesterliche Gebet in Joh. 17, in dem Jesus ja sagt, wir sollen eins sein, damit die Welt glaube. Wir sind also zu einem gemeinsamen Zeugnis für unseren Herrn Jesus Christus herausgefordert. Und das Maß, in dem es uns gelingt, eins zu sein, ist gleichzeitig auch das Maß der Kraft, in dem unser gemeinsames Zeugnis die Menschen erreichen kann. So ist ja die Vorstellung in diesem Gebet, und ich denke, das ist wichtig für uns zu hören. Also wir müssen diese Situation in den Blick nehmen. Wir müssen zum zweiten den Ort in den Blick nehmen - jetzt meine ich das Kloster im engeren Sinne -, nämlich das Kloster, in dem Martin Luther in den Orden eintrat, es ist der Ort, an dem er zum Priester geweiht wurde, im Dom, es ist der Ort, an dem er in der dortigen Kirche seine Primiz, seine erste Messe feierte. Mir geht es darum, Martin Luther als ein Scharnier zu verstehen, ein Scharnier zwischen unseren beiden Kirchen. Da gibt es viele gute Gründe, die mit der Historie zu tun haben: Martin Luther wollte die Kirche reformieren, nichts anderes. Es hat auch mit seiner Theologie zu tun, er ist von Augustin geprägt, davon versteht auch der Papst sehr viel, es ist die Gnadentheologie des Augustin, es ist die Konzentration auf Christus, und ich denke, das verbindet uns im Kern und ist Ausdruck unserer Gemeinsamkeit. Also Luther, ein Scharnier.

domradio.de: Spricht der Ort für Luther oder wird Luther auch zum Thema?

Präses Schneider: Das weiß ich nicht, ich kann mir aber vorstellen, dass der Papst auch etwas zu Martin Luther sagt, das ist eigentlich notwendig. Und ich möchte auch etwas zu Martin Luther in diesem Sinne als ein Scharnier sagen. Es ist sicher auch wichtig, dann noch die weitere Entwicklung auf 2017 hin in den Blick zu nehmen, um sich darüber zu verständigen, in welchem Geiste wir auf dieses bevorstehende 500. Jubiläum der Reformation zugehen und in welchem Geiste wir dieses Jubiläum feiern werden. Von meiner Seite aus kann ich nur sagen, dass es einen starken ökumenischen Akzent haben wird. Es soll keine Protz- und Jubelfeier werden, in dem Sinne, dass wir unser Licht hell scheinen lassen vor dem dunklen Hintergrund des mittelalterlichen Katholizismus und des verrotteten Papsttums zu dieser Zeit. Das alles wollen wir nicht, sondern wir wollen deutlich einen ökumenischen Akzent haben für die Gegenwart und es soll ein kräftiges Glaubenszeugnis für die Gegenwart werden. Und das alles geht nur ökumenisch.

domradio.de: Es hat ja in den vergangenen Jahren Verständigungen gegeben - Stichwort Taufe, Stichwort Rechtfertigungslehre. Kann aus der Begegnung mit dem Papst ein neuer Arbeitsauftrag erwachsen, in der Form "Das nehmen wir uns in den nächsten Jahren mal vor" - wiederum Stichwort Ehen aus den beiden Konfessionen, das Verständnis von Kirche als Sakrament und so weiter?

Präses Schneider: Sie haben die Latte da ja sehr hoch gelegt, man müsste das Zweite Vaticanum auch mit dazunehmen. Das bedarf ganz anderer Vorarbeit, wenn man zu solchen Ergebnissen kommen will, und ganz anderer Anstrengungen. Das wird sicher bei dieser Begegnung nicht möglich sein. Aber es wird möglich sein, dort anzuknüpfen, sich das erneut präsent zu machen: Was ist eigentlich passiert bei der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre und der gemeinsamen offiziellen Feststellung dazu. Was bedeutet es, dass dieser Papst als Kardinal Ratzinger wesentlich dazu beigetragen hat, dass es zu diesen Verständigungen kommen konnte? Was bedeutet es, dass wir uns in der Taufe gegenseitig auf Augenhöhe anerkennen? Dass wir anerkennen, dass sie ein gemeinsames Sakrament ist. Was heißt das eigentlich dann für das Leben der Kirche, für unser Verständnis von Kirche und für alle Lebensvollzüge von Kirche? Also das sind natürlich wesentliche und wichtige Aspekte, die da einfließen. Hier können wir an Traditionen und Lehraussagen anknüpfen. Was mir besonders am Herzen liegt, wird aber etwas anderes sein bzw. etwas, das diese selbe Situation noch einmal anders anschaut: In Deutschland gibt’s es etwas ganz Besonderes, nämlich dass die Anzahl der römisch-katholischen und der evangelischen Christinnen und Christen in etwa gleich groß ist, was ein bedeutender Faktor ist. Und das hat ganz klar zur Folge, dass ganz viele Menschen in Ehen und Familien leben, die aus den Traditionen beider Kirchen heraus ihre Identität, ihren Glauben gewinnen. Und die Situation dieser Familien müssen wir uns anschauen. Und wir haben als Kirchen hier geradezu die Pflicht, das Leben unserer Gläubigen nicht unnötig zu erschweren, sondern es reich zu machen und ihnen Möglichkeiten zu eröffnen, es gemeinsam zu leben. Und das meine ich jetzt in der gesamten Bandbreite, das ist unsere Aufgabe und das möchte ich auch bei dieser Begegnung anschauen und ansprechen.

domradio.de: Sie kommen mit einer Delegation von 15 Personen, wie waren denn die Diskussionen im Vorfeld innerhalb der evangelischen Kirche auf diesen Besuch hin?

Präses Schneider: Wir waren uns völlig einig, dass wir uns über diesen Besuch freuen, denn es ist ja auch ein Pastoralbesuch. Wenn jetzt allein das Staatsoberhaupt des Vatikanstaats gekommen wäre, das dann verständlicherweise mit militärischen Ehren vom Bundespräsidenten empfangen worden wäre, und Reden wären gehalten worden, dann wäre das eher an uns vorübergegangen, denn wir verstehen uns ja so, dass wir sagen, dass Kirche keine staatliche Art hat. Da es aber auch eine Pastoralreise ist, war das für uns ein guter Zugang und wir waren einhellig der Meinung: Das ist eine Chance, aber das ist vor allem auch Ausdruck von Freude: Christinnen und Christen sollen sich freuen, wenn sie einander besuchen. Das stärkt und hilft im Glauben. Das war der Ton, der von Anfang an auf unserer Seite herrschte.

domradio.de: Welche Rolle spielt dabei das Verständnis des Papstamtes? Es gab ja im Vorfeld auch die Anregung aus der evangelischen Kirche, ihn zu einem Sprecher aller Christen zu machen.

Präses Schneider: Also das Papstamt ist für uns wirklich ein schwieriges Thema, weil sich seit den Beschlüssen des Vaticanum I mit dem Papstamt Ansprüche verbinden, die wir kritisch sehen, denen wir so nicht folgen können. Also die Lehrautorität im Sinne einer Letztentscheidung verbunden mit der Vorstellung, dass der Papst garantiert die richtige Glaubenserkenntnis hat, dem können wir nicht zustimmen. Und das andere, der Jurisdiktionsprimat, der ja am Ende auch bindend sein kann, dem können wir auch nicht zustimmen. Also das ist ganz schwierig. Anknüpfen an die ganz altkirchlichen Traditionen, nach dem der Bischof von Rom eine bestimmte Funktion für alle Christen hat, das ist viel leichter zu diskutieren, denn das ist ja auch der Selbstanspruch des Papstes, dass er das Amt der Einheit innehat. Wir sagen bei uns, dass das Amt der Einheit uns allen aufgetragen ist, wir sagen das bei Ordinationen aller unserer Pfarrerinnen und Pfarrer. Wir machen diese Verantwortlichkeit für die Einheit der Kirche bei den leitenden geistlichen Ämtern deutlich und benennen sie. Aber es ist schon ganz gut, wenn herausgehobene Positionen und Persönlichkeiten sich dem im Besonderen widmen. Dann stellt sich aber immer die entscheidende Frage: Zu welchen Konditionen und in welchem Verständnis. Da sehe ich beim Papstamt aufgrund dieser Entwicklung in der Lehre eher die Probleme als die Chancen.

domradio.de: Es hat schon viele Begegnungen gegeben zwischen Ihnen und der katholischen Kirche, gerade weil Sie ja Präses hier im Rheinland sind. Was bedeutet aber noch einmal diese Begegnung mit dem Papst für Sie persönlich?

Präses Schneider: Das ist natürlich wirklich etwas ganz Besonderes. Ich bin dem Papst bisher in Köln einmal beim Weltjugendtag begegnet. Das war dann ein kurzer Händedruck, das wird diesmal einfach zeitlich mehr sein. Es macht noch einmal deutlich: Der oberste Repräsentant der römisch-katholischen Kirche ist aufgrund seiner Stellung nach der Lehre und nach dem Recht ein ganz besonderer Ansprechpartner. Das zweite ist: Es handelt sich um einen höchstgebildeten Theologen, mit dem der theologische Austausch immer von Gewinn ist, das ist etwas ganz Besonderes. Er ist ein Papst aus Deutschland, der uns versteht und der ja auch unsere Kirche und unsere Theologie gut kennt und der auch von daher ein besonderer Ansprechpartner ist. Wir müssen nicht so viel erklären, wer wir sind, sondern wir können davon ausgehen, dass er sofort versteht, was wir sagen und vor allem, wie wir es meinen. In Köln, bei dem ersten Treffen, ist bei mir der Eindruck geblieben: Das ist ein sehr freundlicher und zugewandter Mensch. Das kündigt sich auch durch die beiden Briefe an, die ich von ihm erhalten habe, die im Ton freundlich und brüderlich waren. Insofern freue ich mich auf diese besondere Begegnung auch ganz persönlich.

Das Interview führte Stefan Quilitz

Quelle: Domradio Köln vom 29. August 2011