"Luther als einen Lehrer der Theologie entdecken"

Drei Fragen zum Papstbesuch an den EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider

epd-Gespräch: Rainer Clos

Hannover (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, erhofft sich von dem Treffen mit Papst Benedikt XVI. in Erfurt einen klaren Akzent, der verdeutlicht, "dass uns mehr verbindet als uns trennt". Er wünsche sich, dass der Papstbesuch auch zu einer neuen Wertschätzung Martin Luthers durch die katholische Kirche führt, sagte Schneider im epd-Gespräch. Fortschritte erwartet der Repräsentant der 24 Millionen evangelischen Christen auch bei der Zulassung evangelischer Ehepartner zur katholischen Eucharistiefeier.

epd: Herr Ratsvorsitzender, in ein paar Tagen kommt Papst Benedikt XVI. nach Deutschland. Was können die Menschen in Deutschland, was können Protestanten und Katholiken vom Papst erwarten?

Nikolaus Schneider: Zunächst einmal lenkt dieser Besuch die Aufmerksamkeit auf den christlichen Glauben und die Botschaft des Evangeliums. Das ist uneingeschränkt positiv zu bewerten. Ansonsten werden die meisten Menschen wohl gespannt sein, was der Papst zu aktuellen Fragen der Zeit zu sagen hat. Hier sind sicher an erster Stelle die Fragen zum Zusammenhalt Europas zu nennen, die Fragen von sozialer Gerechtigkeit und der Bedeutung des christlichen Glaubens in unserer Welt. Protestanten und Katholiken in Deutschland erhoffen sich von Papst Benedikt XVI. neue ökumenische Impulse, die unser gemeinsames Zeugnis für Jesus Christus und die befreiende Kraft des Evangeliums in unserer Gesellschaft stärken. Und manche katholischen Geschwister erhoffen sich sicher auch klärende und versöhnende Worte zur angespannten innerkatholischen Situation.

epd: Die EKD-Delegation trifft den Papst am 23. September im Augustinerkloster in Erfurt, in dem Martin Luther als Mönch lebte. Sie haben dafür geworben, Luther als Scharnier zwischen beiden Kirchen zu begreifen. Kann die Begegnung an diesem geschichtsträchtigen Ort dazu beitragen?

Schneider: Ich hoffe sehr, dass wir in Erfurt einen klaren Akzent setzen, der deutlich macht, dass uns mehr verbindet als uns trennt. Der besondere Ort wird sicher dazu beitragen. Wir begegnen uns an dem Ort, an dem Martin Luther in den Augustinerorden aufgenommen wurde und seine erste Messe feierte, insofern ist das Augustinerkloster in vielerlei Hinsicht ein symbolträchtiger Anknüpfungspunkt für Gemeinsames. Heute liegt Erfurt in einer Region Deutschlands, in der nur noch ein Fünftel der Bevölkerung den beiden großen christlichen Kirchen angehört, das ist für die evangelische wie für die römisch-katholische Kirche eine große Herausforderung. Wir können ihr nur gemeinsam begegnen.

epd: Sie haben den Papstbesuch im Land der Reformation als großes ökumenisches Ereignis gewertet und den Wunsch geäußert, gemeinsame ökumenische Schritte zu erörtern, die sich mit dem Reformationsjubiläum 2017 verbinden ließen. Was wären aus Ihrer Sicht echte Fortschritte?

Schneider: Ich wünschte mir, dass der Besuch des Papstes zu einer neuen Wertschätzung Martin Luthers auch im Katholizismus führen könnte. Die römisch-katholische Kirche könnte Martin Luther als einen Lehrer der Theologie entdecken, der auch für ihre Kirche sehr wichtig geworden ist. Das schafft der Erkenntnis mehr und mehr Raum, dass Martin Luther die beiden Kirchen erheblich mehr verbindet, als dass er sie trennt. Und ich hoffe auf einen wertschätzenden Blick auf die gemeinsame Geschichte auch der vergangenen fünf Jahrhunderte. Dass die Trennung nicht nur als Abspaltung, sondern auch als Bereicherung empfunden wird. Dann könnten wir auch zusammen mit unseren römisch-katholischen Geschwistern die nächsten Jahre der Lutherdekade auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017 bedenken und gestalten. Natürlich ist auch die Frage bedeutsam, ob Paare in konfessionsverbindenden Ehen von Seiten der römisch-katholischen Kirche die Möglichkeit bekommen, gemeinsam Eucharistie zu feiern. Das ist eine Frage, die bald gelöst werden sollte! Ich war lange genug Pfarrer in einer Gemeinde, um zu wissen, wie sehr manche Paare unter den jetzt geltenden Regelungen leiden.

19. September 2011


An Luther kommt der Papst nicht vorbei

Strittige Themen werden bei dem Ökumene-Treffen mit Benedikt XVI. in Erfurt keine Rolle spielen

Von Barbara Schneider (epd)

Frankfurt a.M. (epd). Eine halbe Stunde, nicht mehr und nicht weniger, sind für die Gespräche zwischen Papst und Vertretern der evangelischen Kirche in Erfurt anberaumt. Obgleich große ökumenische Schritte nicht zu erwarten sind, gilt das Treffen am 23. September im Erfurter Augustinerkloster als Höhepunkt des Deutschlandbesuches des Papstes.

Vor allem die Ortswahl wird von protestantischer Seite als wichtiges Symbol gewertet. Der Vizepräsident der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Thies Gundlach, sprach mit Blick auf Erfurt von einer "großen ökumenischen Geste". Ist die thüringische Landeshauptstadt doch eng mit der Person des Reformators Martin Luther verbunden. Hier trat Luther in das Augustinerkloster ein, hier wurde er Priester und legte im intensiven Bibelstudium das Fundament für die spätere Reformation.

Gleichwohl: Erfurt ist nicht Wittenberg, wo Luther seine 95 Thesen an die Schlosskirche genagelt haben soll, oder die Wartburg, der Ort der Bibelübersetzung ins Deutsche. "In Erfurt lebte Luther noch in Frieden mit dem Papsttum", sagt der Kirchenhistoriker Andreas Lindner über Erfurt, das einst wegen seiner zahlreichen katholischen Klöster und Kirchen den Beinamen das "deutsche Rom" trug. So gesehen ist Erfurt zuallererst auch ein Ort der katholischen Kirche.

An Luther wird der Papst in Erfurt jedoch nicht vorbeikommen. Das verdeutlichte schon ein Briefwechsel zwischen dem EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider und Benedikt XVI. Anfang des Jahres. Ging der Papst doch auf den Vorschlag des Ratsvorsitzenden ein, die Begegnung in Thüringen stattfinden zu lassen. In dem Land, in dem die Reformation ihren Ursprung nahm, sei "ein stärkerer ökumenischer Akzent notwendig", schrieb damals der Papst. Er "werde alles tun, damit die Begegnung mit den evangelischen Christen gebührend Raum erhält".

"Der Papst ist sich dessen bewusst, dass man genau auf das achten wird, was er zu Martin Luther sagen wird", ist sich der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, sicher. Er könne sich vorstellen, "dass aus der Begegnung mit den Vertretern der evangelischen Kirchen ein Auftrag erwächst, gemeinsam noch einige Dinge aufzuarbeiten, die uns trennen", sagte der Freiburger Bischof in einem Zeitungsinterview.

Die evangelische Kirche steckt mitten in den Planungen für das Reformationsjubiläum 2017. Mit Blick auf den 500. Jahrestag des Thesenanschlages von Martin Luther an die Wittenberger Schlosskirche ist daher die Erwartung auf eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche bei dem Jubiläum groß. Das Gespräch in Erfurt könne ein Impuls werden, die Reformation aus der Perspektive beider Kirchen in den Blick zu nehmen, beschrieb Gundlach die Intention.

Als weiteres mögliches Thema des Treffens nannte Gundlach das Taufpatenamt: Bisher können Protestanten bei einer katholischen Taufe nicht Paten sein. Ein Austausch über kontroverse Fragen, wie etwa die Ordination von Frauen oder die Rolle der Laien in der Kirche, steht unterdessen nicht zur Diskussion. Selbst bei der Frage, ob das Abendmahl für konfessionsverschiedene Ehepartner zur Sprache kommt, rechnet Zollitsch nicht mit einem entscheidenden Anstoß.

Denn auch dies sollte nicht aus dem Blick geraten: Der Papst gilt gemeinhin nicht als Verfechter einer Annäherung der beiden Konfessionen. Als Präfekt der Glaubenskongregation hatte Kardinal Joseph Ratzinger im Jahr 2000 das Papier "Dominus Iesus" verfasst. Die darin enthaltene Feststellung, die katholische Kirche sei die einzig wahre Kirche Christi, hatte damals heftige Proteste unter evangelischen Christen ausgelöst.

Und so setzt die evangelische Kirche mehr auf Zeichen denn auf Worte: Der Frauenanteil bei dem 35-minütigen Gespräch mit dem Papst ist hoch. Acht der 20 Delegierten sind Frauen. Und beim Wortgottesdienst, den Katholiken und Protestanten danach in der Augustinerkirche feiern, wird Synoden-Präses Katrin Göring-Eckardt ein geistliches Wort sprechen. Ein Signal - angesichts der konfessionellen Unterschiede in diesem Bereich.

19. September 2011