Evangelische Kirche mahnt zu Solidarität im Gesundheitssystem

In Denkschrift Annäherung privater und gesetzlicher Kassen gefordert

Düsseldorf (epd). Das solidarische Gesundheitssystem in Deutschland muss nach Ansicht der evangelischen Kirche weiterentwickelt werden. Statt Markt und Wettbewerb müsse der Mensch stärker im Mittelpunkt stehen, heißt es in einer am Montag in Düsseldorf veröffentlichten Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die EKD schlägt eine Annäherung und gegenseitige Öffnung von gesetzlichen und privaten Kassen vor. Statt einer Zwei-Klassen-Medizin sei eine "solidarische Absicherung für alle" nötig.

Der Zugang zu notwendigen Gesundheitsleistungen dürfe nicht von der Kaufkraft abhängen, sagte der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider. Derzeit würden Gesundheitsrisiken privatisiert und gesetzlich Versicherte müssten immer mehr Zusatzkosten tragen. "Diese Entwicklung sehen wir mit Sorge, weil damit Grundgedanken des Sozialstaates infrage gestellt werden." Die Orientierung allein an ökonomischen Zielen führe im Gesundheitswesen zu "Irrsinn im System".

Das Ziel müsse eine "Bürgerversicherung für alle", privat wie gesetzlich Versicherte, sein, erläuterte der Erlanger Medizinethiker Peter Dabrock. Diese Entwicklung zu einer langfristigen "Konvergenz beider Versicherungssysteme" sollte noch in dieser Legislaturperiode eingeleitet werden, sagte der Theologe, unter dessen Vorsitz die Denkschrift erarbeitet wurde: "Wir müssen heute anfangen, einen neuen Rahmen zu schaffen." Wettbewerb sei zwar sinnvoll, der Markt müsse aber reguliert werden.

Auch die Finanzierung der gesetzlichen Kassen soll nach Ansicht der EKD auf eine breitere Grundlage gestellt werden. Neben dem Erwerbseinkommen sollten beispielsweise auch Kapitaleinkünfte und Mieteinnahmen herangezogen werden, hieß es. Der Kapitalstock für die Pflegeversicherung müsse gegebenenfalls auch aus Steuermitteln erhöht werden.

Kritisch sieht die evangelische Kirche dagegen den einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag, den die Krankenkassen im Bedarfsfall erheben können: Dieser Beitrag treffe sozial Schwache, argumentierte die EKD. Auch die Ausgliederung von Gesundheitsleistungen aus dem Katalog der gesetzlichen Kassen widerspreche teilweise dem Solidargedanken. Es müsse dafür Sorge getragen werden, "dass niemand wegen Armut auf notwendige medizinische Leistungen verzichten muss", mahnt die EKD in der Denkschrift mit dem Titel "Und unseren kranken Nachbarn auch! Aktuelle Herausforderungen der Gesundheitspolitik".

In dem Papier plädiert die EKD zudem dafür, den Begriff "Eigenverantwortung" neu zu füllen. Es dürfe nicht darum gehen, die Kosten für bestimmte Leistungen zu privatisieren. Menschen müssten vielmehr in die Lage versetzt werden, für ihr Wohlergehen zu sorgen. Bei der Prävention sollte weniger auf eine Änderung des individuellen Verhaltens gesetzt werden und mehr auf eine Verbesserung der Verhältnisse, sagte Dabrock.

Der Wissenschafter warnte davor, die Solidarität im Gesundheitssystem in Frage zu stellen, die sich seit Jahrzehnten bewährt habe. Sie erweise sich "gerade in der Finanz- und Wirtschaftskrise als ein Pfund unseres Gemeinwohls" und sollte noch mehr gestärkt werden.

17. Oktober 2011