Erstmals Frau an Spitze der westfälischen Kirche

Annette Kurschus folgt auf Präses Buß

Bielefeld (epd). An der Spitze der Evangelischen Kirche von Westfalen steht ab 2012 erstmals eine Frau: Die Synode wählte am Mittwoch in Bielefeld die Siegener Superintendentin Annette Kurschus zur neuen Präses. Kurschus tritt im März an die Stelle von Alfred Buß, der in den Ruhestand geht. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, gratulierte Kurschus zur Wahl.

Als leitende Geistliche der westfälischen Kirche repräsentiert Kurschus in den kommenden acht Jahren knapp 2,5 Millionen Protestanten. Sie setzte sich bei der Wahl mit 143 zu 27 Stimmen bei zwölf Enthaltungen klar gegen die leitende Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen, Angelika Weigt-Blätgen, durch. Am 4. März wird Kurschus in ihr Amt eingeführt. Der scheidende Präses Buß geht dann in den Ruhestand. Die westfälische Kirche ist die viertgrößte der 22 EKD-Gliedkirchen.

Bundesweit stehen dann künftig vier Frauen an der Spitze einer evangelischen Kirche. Kurschus ist die erste Frau an der Spitze einer unierten Kirche. Als Bischöfinnen amtieren bereits Kirsten Fehrs für Hamburg und Lübeck sowie die mitteldeutsche Bischöfin Ilse Junkermann und die methodistische Bischöfin Rosemarie Wenner.

Der EKD-Ratsvorsitzende Schneider erklärte, das Amt einer Präses sei nicht ohne Konfliktpotenzial, zumal in einer der größten Landeskirchen der EKD. In vielen Fragen werde das Urteil von Kurschus gefordert sein, sagte er. Aufgrund ihres bisherigen Dienstes als Superintendentin in Siegen bringe die neue Präses aber für die bevorstehenden Aufgaben zahlreiche Erfahrungen mit. Er freue sich auf die Zusammenarbeit.

Geboren wurde Annette Kurschus 1963 in Rotenburg an der Fulda, sie wuchs im hessischen Obersuhl und in Siegen auf. Nach Beginn eines Medizinstudiums wechselte sie 1983 zur evangelischen Theologie, die sie in Bonn, Marburg, Münster und Wuppertal studierte. In Siegen machte sie zunächst ihr Vikariat und wurde 1993 Gemeindepfarrerin. Im Kirchenkreis Siegen wurde sie 2001 zur stellvertretenden Superintendentin und vier Jahre später zur Superintendentin gewählt. Kurschus, die Musik als "Lebenselixier bezeichnet, ist ledig und hat keine Kinder.

Die Theologin arbeitet in zahlreichen kirchlichen Gremien mit. Unter anderem leitet sie seit 2008 den Ständigen Theologischen Ausschuss der westfälischen Kirche, dem sie seit 2004 angehört. Seit 2002 ist die 48-Jährige, deren Vater bereits Pfarrer in Siegen war, zudem Mitglied im Leitungsgremium des Reformierten Bundes. Seit 2003 gehört sie dem Liturgischen Ausschuss der Union Evangelischer Kirchen (UEK) an und ist ständiger Gast in der Vollkonferenz der UEK.

16. November 2011


Kein Männerverein

In der evangelischen Kirche rücken Frauen in Spitzenämter und Leitungspositionen vor

Von Rainer Clos (epd)

Frankfurt a.M. (epd). Bischöfin in Hamburg ist seit Dienstag Kerstin Fehrs. Am Mittwoch wählte die westfälische Landessynode Annette Kurschus zur leitenden Geistlichen mit dem Titel Präses. In der Evangelischen Kirche von Mitteldeutschland ist Ilse Junkermann seit 2009 Bischöfin. Rosemarie Wenner ist Bischöfin der Evangelisch-methodistischen Kirche.

Mit Fehrs, Junkermann und ab März Kurschus gibt es auf der Leitungsebene in der evangelischen Kirche bald wieder die frühere Konstellation: Von 22 Bischöfen sind drei Frauen. Die Rücktritte von Margot Käßmann und Maria Jepsen vom Bischofsamt im Jahr 2010 hatten in der Führungsriege des deutschen Protestantismus kurzzeitig zu Rückschlägen für die Präsenz von Frauen geführt.

Helga Trösken war bei ihrer Wahl zur Pröpstin von Frankfurt 1987 die erste Frau, die in Deutschland ein Leitungsamt übernahm. Maria Jepsen wurde 1992 die erste lutherische Bischöfin weltweit. Doch nicht nur an der Spitze, auch in weiteren Führungspositionen rücken Frauen vor. In Bayern sind von sechs Regionalbischöfen drei weiblich, in Nürnberg teilen sich sogar eine Frau und ein Mann das bischöfliche Amt. Auch in der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau besetzen Frauen die Hälfte der sechs Propstämter, die zur Kirchenleitung gehören. In Württemberg gibt es eine Prälatin, neben drei männlichen Kollegen. In Baden herrscht Gleichstand, ein Mann ist Prälat in Nordbaden, der südbadischen Prälatur steht eine Frau vor.

Auch in den Leitungen der Landeskirchen sind Frauen prominent vertreten. In Berlin, Hessen-Nassau und im Rheinland nehmen sie die zweite Position nach den Bischof oder Kirchenpräsidenten ein. Die Landeskirchenämter von Baden, Bayern, Mitteldeutschland, Nordelbien und Württemberg werden von Kirchenjuristinnen geleitet.

Auf EKD-Ebene steht Katrin Göring-Eckardt seit 2009 als Präses an der Spitze des Kirchenparlamentes. Von den 126 Mitgliedern der Synode sind 45 Prozent Frauen; unter den 15 Mitgliedern des Rates der EKD gibt es sieben Frauen. In den Synoden der 22 Landeskirchen liegt der Frauenanteil insgesamt höher als 50 Prozent.

Der zähe Kampf um den Zugang von Frauen zum Pfarramt begann vor rund 100 Jahren, als Frauen zum Studium der evangelischen Theologie zugelassen wurden. Doch vom Pfarramt blieben sie noch ein halbes Jahrhundert ausgeschlossen. Anfänglich wurden sie als "Vikarin" oder "Pfarrgehilfin" in "labilen Anstellungsverhältnissen" beschäftigt, heißt es im Evangelischen Staatslexikon. Die kleinen Landeskirchen Pfalz, Lübeck und Anhalt waren Vorreiter auf dem langen Weg zur Normalität und machten vor rund 50 Jahren den Weg für die Frauenordination frei. Die pfälzische Synode verabschiedete 1958 ein "Theologinnengesetz", das Frauen und Männer im geistlichen Amt gleichstellte.

Bundesweit erste Gemeindepfarrerinnen wurden Ende der 50er Jahre Elisabeth Haseloff in Lübeck und Waltraud Hübner in Frankfurt. Gegen Widerstände wurde erst später die "Zölibatsklausel" abgeschafft, die nur unverheiratete Frauen zum Pfarrdienst zuließ. Als letzte Landeskirche öffnete Schaumburg-Lippe 1991 das Pfarramt für Frauen.

Für die Gleichstellung der Geschlechter in der evangelischen Kirche markiert die Synode in Bad Krozingen 1989 eine wichtige Etappe: Das Kirchenparlament beschloss, dass kirchliche Gremien paritätisch besetzt werden sollen, der Frauenanteil mindestens 40 Prozent betragen soll. Von dieser Zielvorgabe sei man trotz Gleichstellungsgesetzen noch entfernt, bilanziert Oberkirchenrätin Kristin Bergmann, die im EKD-Kirchenamt das Referat Chancengerechtigkeit leitet. Dass in den Pfarrhäusern und im Theologiestudium der Frauenanteil zunimmt, wertet Bergmann als "Normalisierung".

EKD-weit gab es 2009 mehr als 21.000 Pfarrer, darunter 7.000 Frauen. Vor 20 Jahren waren von 18.000 Theologen in der evangelischen Kirche rund 2.100 weiblich. Die Statistiken legen nahe, dass in Zukunft noch häufiger Frauen auf der Kanzel stehen. Bei den Theologiestudenten liegt der Frauenanteil über 50 Prozent. Ein höherer Frauenanteil in kirchlichen Leitungsämtern sei nur eine Frage der Zeit, so Bischöfin Junkermann.

16. November 2011