Kirchen rufen zum Gebet für die Opfer der Neonazis auf

Berlin (epd). Vor der Gedenkfeier für die Opfer von Neonazis am Donnerstag in Berlin haben Experten und Begleiter der Angehörigen vor einem Ende der Rechtsextremismus-Debatte gewarnt. Die Veranstaltung dürfe nicht "als eine Art Schlusspunkt" missverstanden werden, sagte die Ombudsfrau für die Angehörigen der Opfer der Zwickauer Terrorzelle, Barbara John, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie müsse vielmehr "der Auftakt nachhaltiger Veränderungen in Politik und Gesellschaft" werden.

Zu der Gedenkfeier werden im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt rund 1.200 Gäste, darunter Angehörige von Mordopfern der Zwickauer Terrorzelle, erwartet. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird die Ansprache halten. Ursprünglich sollte Bundespräsident Christian Wulff sprechen, der am Freitag zurücktrat. Daneben werden Reden von zwei Töchtern von Opfern der rechtsextremen Mordserie erwartet.

John mahnte vor allem Änderungen in der Polizeiarbeit an. "Wie in anderen Ländern längst üblich, muss künftig auch in Deutschland bei Straftaten, bei denen Einwanderer Opfer geworden sind, nach möglichen fremdenfeindlichen Motiven geforscht werden", sagte die langjährige Berliner Ausländerbeauftragte. Die in Bund und Ländern zur Aufklärung der rechtsextremen Mordserie eingesetzten Gremien müssten Anstöße für dauerhafte Veränderungen geben.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, erwartet von Kanzlerin Merkel den Anstoß einer Debatte über Rassismus. Er kritisierte, dass oft über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit diskutiert werde, das Wort Rassismus in öffentlichen Erklärungen jedoch selten sei. "Mit dem Wort wird ein ganzes Phänomen verschwiegen", sagte Kolat.

Die Rechtsextremismus-Expertin Anetta Kahane forderte eine stärkere Ächtung von Rassismus durch die Bundesregierung. Gerade nach der Entdeckung des Hintergrundes der Mordserie sollte es nicht bei "Symbolhandlungen" bleiben, sagte die Vorsitzende der Berliner Amadeu Antonio Stiftung.

Die Spitzenrepräsentanten der beiden großen Kirchen riefen die Gläubigen zum Gebet für die Mordopfer und deren Familien auf. Rechtsextremes Denken und Handeln seien mit dem christlichen Glauben unvereinbar, erklärten der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, und der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch. Gerade Menschen mit anderer Herkunft und anderem Glauben seien auf besondere Fürsorge angewiesen.

Caritas und Diakonie forderten anlässlich des Gedenktages einen entschiedenen Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Rechtsextreme könnten nur dann an Einfluss gewinnen, wenn demokratische Institutionen nicht in ausreichendem Maße funktionierten oder gesellschaftliche Integration gefährdet sei, sagten die Präsidenten des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher, und des Diakonischen Werkes der EKD, Johannes Stockmeier.

Auf Initiative der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände und des Deutschen Gewerkschaftsbundes sind am Donnerstag um 12 Uhr die Menschen dazu angehalten, ihre Tätigkeiten im Gedenken an die Opfer ruhen zu lassen. Aus den Bundesländern kamen Aufrufe zu einer umfassenden Beteiligung. In Berlin sollen Punkt zwölf Uhr Busse, Straßenbahnen und U-Bahnen stillstehen. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) unterbricht seine Rundfunkprogramme. Auch in Niedersachsen soll der öffentliche Nahverkehr in einigen größeren Städten für eine Minute ruhen.

Der Zentralrat der Muslime rief ebenfalls zur Beteiligung an der bundesweiten Schweigeminute auf. Er forderte seine Mitglieder zudem auf, am Freitag bei Gebeten und Predigten in den Moscheen an die Mordopfer und Hinterbliebenen zu erinnern.

Ein Neonazi-Trio aus dem sächsischen Zwickau soll in den Jahren 2000 bis 2007 insgesamt zehn Menschen ermordet haben. Neben acht türkischen Migranten zählen ein griechischer Einwanderer und eine Polizistin zu den Opfern.

22. Februar 2012