Merkel bittet Angehörige der Neonazi-Opfer um Verzeihung - Aufruf zu Eintreten gegen Fremdenfeindlichkeit

Berlin (epd). Bei der zentralen Gedenkfeier für die Opfer der Neonazi-Morde hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei den Angehörigen für falsche Verdächtigungen durch Sicherheitsbehörden entschuldigt. Es sei "besonders beklemmend", dass die Angehörigen teils jahrelang unter falschen Verdächtigungen der Sicherheitsbehörden leiden mussten, sagte Merkel am Donnerstag in Berlin: "Dafür bitte ich um Verzeihung." Familienmitglieder der Ermordeten riefen zu gesellschaftlichem Zusammenhalt auf. Bundesweit gedachten die Menschen um 12 Uhr in einer Schweigeminute der Opfer der Rechtsterroristen.

Die Jahre vor der Aufklärung müssten ein "nicht enden wollender Alptraum" gewesen sein, sagte Merkel vor den rund 1.200 Gästen der Gedenkfeier, unter denen sich auch etwa 80 Angehörige der Gewaltopfer befanden. Die Mordserie sei ein Anschlag auf Deutschland und "eine Schande für unser Land". Sie verspreche, es werde alles getan, was dem Rechtsstaat möglich sei, "damit sich so etwas nie wieder wiederholen kann".

Die Gedenkfeier war von den Verfassungsorganen ausgerichtet worden. Gedacht wurde der zehn Opfer der im November 2011 aufgedeckten Mordserie der Zwickauer Terrorzelle. Sie soll in den Jahren 2000 bis 2007 insgesamt zehn Menschen ermordet haben. Daneben wurde an andere Gewaltopfer von Rechtsextremen und ausdrücklich auch unbekannte Opfer rechtsextremistischer Gewalt erinnert. Ursprünglich war der zurückgetretene Bundespräsident Christian Wulff als Redner vorgesehen.

Angehörige der Ermordeten riefen zum gemeinsamen Eintreten gegen Fremdenfeindlichkeit auf. "Die Politik, die Justiz, jeder Einzelne von uns ist gefordert", sagte Semiya Simsek, deren Vater im September 2000 in Nürnberg als erster von den Rechtsterroristen ermordet worden war. Simsek kritisierte die Verdächtigungen durch Polizei und Justiz: "Elf Jahre durften wir nicht einmal reinen Gewissens Opfer sein", sagte die 25-Jährige.

Ismail Yozgat aus Kassel, dessen Sohn 2006 ermordet worden war, dankte für das Angebot der Bundesregierung, die Angehörigen finanziell zu entschädigen: "Wir möchten aber seelischen Beistand." Er forderte die umfassende Aufklärung der Taten und die Einrichtung einer Stiftung in Gedenken an die zehn Toten.

Prälat Bernhard Felmberg von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sagte, die bewegende Gedenkfeier sei von den eindringlichen Worten der Hinterbliebenen der Opfer des Neonazi-Terrors geprägt gewesen. Angehörige von Ermordeten hätten deutlich gemacht, dass es ihnen nicht auf materielle Entschädigung, sondern auf umfassende Aufklärung ankomme. Der EKD-Bevollmächtigte begrüßte die Warnung Merkels vor Gleichgültigkeit gegenüber rechtsextremem Gedankengut. Einen Tag vor der Gedenkfeier hatten die beiden großen Kirchen jede Form von Rechtsextremismus als unvereinbar mit dem christlichen Glauben verurteilt.

Um 12 Uhr wurden in ganz Deutschland der Opfer gedacht. Gewerkschaften und Arbeitgeber hatten gemeinsam dazu aufgerufen. In mehreren Städten stand der öffentliche Nahverkehr für eine Minute still, Firmen organisierten Arbeitspausen.

Die Gedenkfeier wurde in Politik und Gesellschaft weitgehend positiv bewertet. Die Bundes-Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) nannte sie ein starkes Signal gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Der Vorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, Thomas Rachel (CDU), ergänzte, der Rechtsstaat lebe davon, dass er gegenüber all denen wachsam und wehrhaft bleibe, die seine Grundlagen untergraben und zerstören wollten.

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Klaus Wowereit warnte davor, zur Tagesordnung überzugehen. Unter anderem forderte er eine klare Finanzierung von Projekten gegen rechts und die Einrichtung einer Bundesstiftung für demokratische Kultur. Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und Jürgen Trittin sagten, die Gedenkfeier sollte der Anfang für einen neuen Umgang mit Rechtsextremismus sein. Behörden müssten künftig "auch das rechte Auge öffnen".