Publizistin Beatrice von Weizsäcker warnt vor Prangerwirkung des Internets

Hannover/München (epd). Die Münchner Publizistin Beatrice von Weizsäcker hat vor einer Prangerwirkung des Internets gewarnt. Im Mordfall der elfjährigen Lena aus Emden sei ein zunächst 17-jähriger Verdächtiger, dessen Unschuld sich später herausstellte, über Facebook regelrecht gelyncht worden, sagte die promovierte Juristin am Montag im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst in Hannover: "Der Pranger ist bei uns aus gutem Grund abgeschafft worden. Nun ist er wieder da - mit voller menschenverachtender Wucht." Von Weizsäcker ist an diesem Mittwoch Gast im Hanns-Lilje-Forum der hannoverschen Landeskirche zum Thema "Abstimmen per Mausklick? Wie Facebook, Twitter und Co. unsere Öffentlichkeit beeinflussen".

Bei Verleumdung und übler Nachrede seien die sozialen Netzwerke alles andere als "sozial", betonte von Weizsäcker, die auch dem Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages angehört. Als weiteres Beispiel nannte sie eine rechtsgerichtete Partei in Belgien. Die Organisation habe eine digitale "Meldestelle Illegalität" freigeschaltet, auf der die Menschen sogenannte Illegale und angeblichen Asylmissbrauch preisgeben sollen. "Das ist Denunziation." In den USA sei es mancherorts üblich, im Internet die Adressen von früheren Kinderschändern preiszugeben. Sie fänden in der Folge keine Wohnung mehr: "Auch das ist blanke Denunziation."

Die größten Gefahren im Netz sieht die 53-Jährige nach wie vor im mangelnden Datenschutz. Es würden ungeheure Datenmengen gesammelt, mit denen leicht Persönlichkeitsprofile erstellt werden könnten. Das interessiere die Unternehmen, weil sie so mehr Werbung und damit mehr Geld bekämen. Irgendwann aber werde auch der Staat Interesse an diesen Daten haben: "Und da hört der Spaß auf. Denn den Staat geht mein Privatleben nichts an." Der Schutz der Privatsphäre sollte immer Vorrang vor den schier unendlichen Möglichkeiten des Netzes haben. Vor allem an den Schulen sei Aufklärung nötig.

Auf der anderen Seite böten Facebook und Twitter großartige Möglichkeiten, sich einzumischen, politisch mitzumachen und sich nicht frustriert von "denen da oben" abzuwenden, erläuterte von Weizsäcker, die auch Mentorin der Evangelischen Journalistenschule in Berlin ist. Die Piratenpartei habe das weit verbreitete Bedürfnis, sich einmischen zu wollen, klug erkannt. "Ihre andere Form der Politik, die 'flüssige Demokratie', wie sie es nennt, und nicht ihr etwas kryptisches Programm machen meines Erachtens ihren Erfolg aus."

Auch der "Arabische Frühling" im vergangenen Jahr wäre ohne Twitter und Facebook kaum denkbar gewesen. Enormen Zuspruch aus aller Welt habe in den vergangenen Wochen außerdem das israelische Ehepaar Michal und Ronny Edry aus Tel Aviv für seine Facebook-Kampagne "Israel loves Iran" erhalten.

16. April 2012