Bischof: Ukraine ist von Heuchelei und Korruption durchsetzt

München/Kiew/Odessa (epd). Der evangelische Bischof der Ukraine, Uland Spahlinger, hält die Inhaftierung der früheren ukrainischen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko für eine "ganz schlimme Sache". Er könne sich aber durchaus vorstellen, dass die 51-Jährige gegen geltendes Recht verstoßen habe: "Wenn das so ist, muss sie sich dafür in einem fairen und transparenten Verfahren verantworten." Spahlinger ist Pfarrer der bayerischen Landeskirche und Bischof der Deutsch-Evangelisch-Lutherischen Kirche (DELKU) in der Ukraine mit Sitz in Odessa.

Timoschenkos Gegner seien aber nicht besser, kritisierte Spahlinger. "Das gesamte System ist von Heuchelei und Korruption durchsetzt. Einige wenige Oligarchen und ihre Hintermänner bereichern sich auf Kosten der Allgemeinheit und sichern das auch noch gesetzlich ab." Seit er in der Ukraine lebe, lerne er die klare Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative, wie sie Deutschland herrscht, noch einmal neu schätzen.

Die pro-westliche Oppositionsführerin Timoschenko wurde im Oktober 2011 in einem als politisch motiviert kritisierten Prozess wegen Amtsmissbrauch zu sieben Jahren Haft verurteilt. Fragwürdige Haftbedingungen und mangelnde medizinische Betreuung rufen immer wieder Menschenrechtler auf den Plan. Seit kurzem läuft gegen die Anführerin der Orangenen Revolution von 2004 ein zweites Verfahren.

Aus Protest gegen die Haftbedingungen befindet sich Timoschenko seit Tagen im Hungerstreik. Unterstützung erfährt sie derzeit auch von deutscher Seite: Bundespräsident Joachim Gauck hat seinen für Mai angesetzten Besuch in der Ukraine abgesagt. Zahlreiche Politiker erwägen außerdem aus Sorge um den Gesundheitszustand Timoschenkos einen Boykott der Fußball-Europameisterschaft, die vom 8. Juni bis 1. Juli in Polen und der Ukraine stattfindet.

Dass die Ukraine vor diesem Hintergrund ein sportliches Großereignis austragen darf, findet Spahlinger nicht verwerflich: Dann könne man über viele Austragungsländer von großen Sportereignissen diskutieren, außerdem seien die Fußballverbände UEFA und FIFA auch keine "Vereinigungen von Saubermännern". Besonders FIFA-Präsident Joseph Blatter steht seit längerem unter Korruptionsverdacht.

Spahlinger erhofft sich von der Fußball-EM "eine Phase entspannter Freundlichkeit und Freiheit in einem Land, das vom Westen politisch nicht sehr freundlich betrachtet wird." Umgekehrt sei auch die Ukraine dem Westen derzeit politisch nicht sonderlich gut gesonnen. Die jüngsten Protestbewegungen in Russland gegen Wladimir Putin finde er "sehr faszinierend": "Das sind neue Entwicklungen, die Mut machen können auch für die Länder drumherum."

26. April 2012