EU darf nicht an Stadtentwicklung sparen

Kirche fordert Einsatz gegen "soziale Abwärtsspiralen"

Brüssel (epd). Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ruft die Europäische Union auf, in der Finanzperiode 2014 bis 2020 keine Abstriche an städtischen Sozial- und Entwicklungsprojekten zu machen. Der Stadtentwicklung müsse auch in Zukunft ein wichtiger Stellenwert zukommen, sagte der Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, Ralf Meister, am Montagabend in Brüssel. Er verwies darauf, dass die Verstädterung in Europa immer weiter fortschreite. Städte seien attraktiv - auch in Europa sei jedoch der soziale Frieden in Städten vielerorts in Gefahr.

Schon heute lebten in Deutschland rund 90 Prozent der Bevölkerung in Städten, sagte Meister beim gemeinsamen Brüsseler Jahresempfang der EKD und der katholischen Kirche. Die Verstädterung sei ein weltweiter Trend. Mit Sorge blickte Meister auf die aktuellen "schwierigen Verhandlungen" um den zukünftigen Haushalt der EU. "Die urbane Dimension in den Strukturfonds ist ein wichtiger Aspekt."

Die moderne Stadt habe einen Bedeutungswandel durchlebt, hob der Hannoveraner Bischof hervor. Sie sei nicht mehr der Hort der Sicherheit, der Schutz vor der Wildnis biete, sondern berge für ihre Bewohner selbst erhebliche Gefahren. Dies gelte vor allem für Megastädte wie Rio de Janeiro oder Lagos. Auch europäische Städte seien aber gegen dieses Phänomen nicht gefeit. Politik und Gesellschaft komme die Aufgabe zu, "sozialen Abwärtsspiralen" entgegenzuwirken.

Die Schnittmenge zwischen kirchlichen, kommunalen und unternehmerischen Interessen in der Stadtentwicklung ist nach Ansicht Meisters groß. Es gehe etwa um die "Aufwertung von historischen Innenstädten, günstigen Wohnraum, energieeffiziente Gebäude, gute Bildungseinrichtungen, altersgerechte Infrastruktur, familienfreundliche Arbeitsstätten, ressourcenschonende Energieversorgung, um nur einige wenige Punkte zu nennen."

Die Kirchen nähmen in vielerlei Hinsicht Verantwortung als Akteure und Partner wahr, betonte der Landesbischof. "Das aktive Quartiermanagement der Kirchen sichert in vielen städtischen Bereichen eine notwendige soziale Infrastruktur." Künftig müssten die Kirchen noch "intensiver als bisher das Gespräch mit anderen Religionen führen". Es gehe dabei nicht nur um theologische Auseinandersetzung, sondern auch um Sozial-, Kultur- und Bildungsthemen.

Die EKD und die katholische Kirche stellen bei ihren gemeinsamen Brüsseler Jahresempfängen traditionell abwechselnd den Hauptredner. Der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, Prälat Karl Jüsten, lenkte in seiner Eröffnungsansprache den Blick auf die Wertegemeinschaft Europa. Zu den Konstruktionsfehlern der EU gehöre, dass Europa "oberflächlich betrachtet wertneutrale" Regelungen verabschiede, die nationale Wertentscheidungen ihrer Wirkung entleerten oder sogar außer Kraft setzten, sagte er.

Als Beispiel nannte Jüsten die embryonale Stammzellforschung: Die Entscheidung über die Förderung mit EU-Geldern sei weitgehend den Ländern überlassen. Dies führe aber dazu, dass die Bürger einiger Länder mit ihren Steuergeldern Projekte finanzierten, die in ihrem eigenen Land verboten seien. Er habe im Fall der embryonalen Stammzellforschung aber die Hoffnung, dass noch die Wende gelinge und die Forschung vollständig aus der Förderung ausgeschlossen werde, sagte Jüsten. "Dies wäre ein wichtiger Schritt, die Europäische Union als wirkliche Wertegemeinschaft sichtbar werden zu lassen."

28. November 2012