Kirchentag: "Mit Weltoffenheit und schwäbischer Gastfreundlichkeit"

Frankfurt a.M. (epd). Für den Stuttgarter Kirchentag sei eine der Leitfragen, wie die Gesellschaft auch für nachfolgende Generationen lebenswert bleiben kann, sagt Generalsekretärin Ellen Ueberschär. Auch das Thema Frieden werde im Kirchentagsprogramm ein besondere Rolle spielen. Akzente dabei seien die Erinnerung an die Stuttgarter Schulderklärung, die von der EKD vor 70 Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verabschiedet wurde, sowie eine Veranstaltungsreihe zum Thema Schuld und Versöhnung.

epd: In fünf Monaten findet der 35. Deutsche Evangelische Kirchentag in Stuttgart statt. Er steht unter dem Leitwort "damit wir klug werden". Was braucht es zum Klugwerden, was macht ein Leben in Weisheit aus? Was erwartet die Besucher des Stuttgarter Kirchentags?

Ellen Ueberschär: Der biblische Vers aus Psalm 90 lädt zum Nachdenken ein: "klug" zu sein hat lebenspraktische Bedeutung, ohne sich auf konkretes Handeln zu beschränken. Im Psalmwort klingt noch mehr an - die Fähigkeit, Letztes von Vorletztem zu unterscheiden und im Angesicht der Endlichkeit des Lebens Maßstäbe für kluges Handeln und nachhaltiges Wirken zu finden. Wie bleibt unsere Gesellschaft für die nachfolgenden Generationen lebenswert? Wie verständigen wir uns über Maßstäbe, die für alle Menschen ein Leben in Würde möglich machen? Unter diesen Leitfragen hat das Präsidium das Kirchentagsprogramm entwickelt. Der Stuttgarter Kirchentag wird mit Weltoffenheit und Internationalität auftreten, natürlich auch mit schwäbischer Gastfreundlichkeit. Die drei Kirchentagszentren Neckarpark, Fellbach und Innenstadt bieten ein dichtes Programm mit inhaltlicher Debatte, kulturellen Highlights und geistlichen Angeboten.

epd: Der letzte Kirchentag in Stuttgart liegt 16 Jahre zurück. Er war stark geprägt von friedensethischen Debatten - ausgelöst vom Kosovo-Krieg und der deutschen Beteiligung. Wird angesichts der Vielzahl aktueller Konflikte - Syrien, Irak, Ukraine, Nahost, Nigeria -, die die Welt zu überziehen scheinen und in denen auch religiöse Brandstifter beteiligt sind, die Frage nach Religion, Gewalt und Frieden auch 2015 eine prominente Rolle spielen?

Ueberschär: Der Zusammenhang von Frieden, Entwicklung und Gerechtigkeit ist für die großen friedenspolitischen Veranstaltungen des Kirchentages leitend. Konflikte und Kriege haben keine eindimensionale Ursache, sondern müssen multiperspektivisch in den Blick kommen. Das wird der besondere Akzent des Stuttgarter Programms zum Thema Frieden sein. Nach 70 Jahren an die Stuttgarter Schulderklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zu erinnern und den Ausgangspunkt für eine große Veranstaltungsreihe zu Schuld und Versöhnung bei der Theologie zu nehmen, ist eine der Antworten auf die bedrohliche Lage in der Welt. Ein weiterer Fokus des Kirchentages liegt auf Migration und Menschenrechten. Das drängende Thema der Flüchtlingsaufnahme wird unterstützt durch die Kollekten des Kirchentages: Alle werden zugunsten von Projekten gesammelt, die Flüchtlinge versorgen, entweder vor Ort in den Krisengebieten, in Stuttgart selbst oder an den Grenzen der Europäischen Union. Eine Kollekte wird für Friedens- und Bildungsarbeit in Israel gesammelt. Die zentralen friedenspolitischen Fragen sind im Programm vertreten, mit der Frage nach globaler Partnerschaft, nach der Zukunft Europas als Friedensprojekt und der Verantwortung Deutschlands. Welche Verantwortung die Wirtschaft für Menschenrechte hat, wird ebenso beleuchtet wie die Entwicklung neuer Techniken und die Risiken digitaler Überwachung.

epd: Der nächste Kirchentag findet im Anlauf zum Reformationsjubiläum 2017 statt. Unlängst haben Sie davon gesprochen, dass es noch nie so viel Ökumene gab wie heute. Wird der Kirchentag in Stuttgart dennoch zu mehr ökumenischer Ungeduld ermutigen?

Ueberschär: Ein solcher Satz, dass wir ein Höchstmaß an Ökumene erreicht haben, kann nie ohne Aber stehenbleiben. Denn das Aber ist in allen Konfessionen ein Antrieb zu mehr und zu vertieften gemeinsamen Aktivitäten. In Stuttgart treffen wir auf eine dichte ökumenische Landschaft, die ihresgleichen sucht. Da passt Kirchentag mit seinen Erfahrungen von zwei Ökumenischen Kirchentagen gut hinein. Die kontroverse interkonfessionelle Debatte um ein gemeinsames Herangehen an das Jahr 2017 wird in Stuttgart resümiert und weitergeführt. Ökumenische Gottesdienste, Gemeindefragen und vieles mehr werden die Fülle aufgreifen, die die ökumenische Landschaft im Südwesten bietet. Die Frage, ob und wie das Jahr 2017 gemeinsam begangen und gefeiert werden kann, wird zu einer entscheidenden Wegmarke für die Ökumene insgesamt werden.

epd: In vergangenen Juni versammelten sich in Stuttgart bereits mehr als 20.000 evangelische Christen zum Christustag. Sind die innerevangelischen Polarisierungen, die es in der Kirchentagsgeschichte auch gab, inzwischen überwunden?

Ueberschär: Der Kirchentag ist von Anfang an auf den Trägerkreis des Christustages zugegangen und hat die Bereitschaft zu einer Kooperation signalisiert. Das frühere Selbstverständnis, eine Gegenveranstaltung zum Kirchentag zu sein, wird vom Christustag nicht mehr vertreten. Da sind Polarisierungen Gott-sei-Dank überwunden. Die Evangelische Kirche in Württemberg wird mit einem regionalen Projekt "Evangelisch (nicht nur) in Württemberg" auf dem Kirchentag die unterschiedlichen Frömmigkeitsstile thematisieren. Und der Christustag 2015 findet in Verbindung mit diesem regionalen Projekt statt. Die Polarisierungen sind überwunden, aber theologische Meinungsverschiedenheiten bleiben und die sind es wert, ausgesprochen und diskutiert zu werden. Einen großen Schritt der Annäherung hat das Präsidium getan mit seinem Beschluss, eine Veranstaltung über "Evangelische Kirche und messianische Juden" anzusetzen. Damit wird ein Thema aufgegriffen, das innerhalb des Spektrums württembergischer Christen präsent ist, die auch den Christustag tragen.

7. Januar 2015