Ökumene-Expertin Sattler: Auch Katholiken müssen Antijudaismus aufarbeiten

Loccum/Münster (epd). Katholiken und Protestanten haben nach Auffassung der katholischen Theologin Dorothea Sattler eine "gemeinsame Schuldgeschichte" gegenüber den Juden. Die katholische Kirche könne nicht einseitig auf die antijüdischen Spätschriften des protestantischen Reformators Martin Luther verweisen, sagte die Professorin aus Münster dem Evangelischen Pressedienst (epd) nach einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum bei Nienburg. "Es gibt keinen Anlass, sich über Luther zu erheben, weil wir auf unsere eigene Weise selbst betroffen sind." In Loccum hatten Theologen und Historiker über das Thema "Martin Luther und die Juden" diskutiert.

Katholische Theologen der Reformationszeit urteilten ähnlich wie Luther

Die Forschung zeige, dass katholische Theologen der Reformationszeit wie Luthers Gegenspieler Johannes Eck im Blick auf die Juden ähnlich geurteilt hätten wie der Reformator, sagte Sattler. Sie hätten argumentiert, dass die Juden Jesus getötet hätten und damit Schuld am Tod des Gottessohnes seien. Diese antijüdische Geschichte müsse aufgearbeitet werden. Allerdings seien Theologen wie Eck stärker auf einer theologischen Linie geblieben, während Luther auch politische Konsequenzen gezogen habe.

Luther hatte in seinen Spätschriften unter anderem gefordert, die Juden zu vertreiben. "Er war impulsiv und forsch in der Rede", sagte Sattler. "Er hat deshalb oft verbal überzogen, mit all der schrecklichen Wirkungsgeschichte, die das hatte."

Insgesamt habe die Theologie zu wenig beachtet, dass die Christenheit ihre Bekenntnisse dem Volk Israel verdanke, betonte die Professorin. "Die Wertschätzung eines eigenständigen Judentums kommt einfach zu kurz." Im katholischen Bereich sei der Vorwurf hinzugekommen, die Juden hätten Hostien geschändet. Deshalb seien Juden auch in späteren Jahrhunderten bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein von Christen zu wenig in Schutz genommen worden. Die kirchliche Judenfeindlichkeit habe ein Klima der "Lethargie" erzeugt.

"Ein ökumenisches Hoffnungszeichen"

Sattler begrüßte es, dass sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) heute "sehr hilfreich und selbstkritisch" mit dem antijüdischen Erbe aus der Reformationszeit auseinandersetze. Zu Recht erwarte die jüdische Gemeinschaft eine Erklärung der EKD dazu. "Das können wir dann gemeinsam gut ökumenisch mittragen angesichts der eigenen Betroffenheit", sagte die katholische Ökumene-Expertin.

Die Professorin begrüßte zugleich, dass evangelische und katholische Bischöfe anlässlich des 500. Reformationsjubiläums 2017 bereits im Herbst 2016 nach Israel reisen wollten. "Dort wird vielfach Gelegenheit sein, die gemeinsame Schuldgeschichte öffentlich zu bekennen. Das ist ein ökumenisches Hoffnungszeichen."

8. Oktober 2015