Lutherischer Ökumene-Experte: Weit verbreitete Konfessionsklischees überwinden

Bremen (epd). Der Catholica-Beauftragte der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), Karl-Hinrich Manzke, wirbt dafür, dass Protestanten und Katholiken weit verbreitete Konfessionsklischees überprüfen und überwinden. "Zum gemeinsamen Reformationsgedächtnis gehört auch das Bemühen, die jeweils andere Kirche differenziert wahrzunehmen", sagte der Ökumene-Experte am 7. November vor den unierten und lutherischen Kirchenparlamenten in Bremen. Zu den klischeehaften Qualifikationen gehöre es etwa, die evangelischen Kirchen als Neuerungsbewegung und zeitgemäß-weltoffene "Kirche der Freiheit" einer katholischen Kirche gegenüberzustellen, die als altgläubig, rückwärtsgewandt und autoritätsfixiert dargestellt werde.

Im Zusammenhang mit dem Reformationsjubiläum sollten sich evangelische Theologie und Kirche intensiver mit der Frage befassen, wie es mit Reform, Reformfähigkeit und -willigkeit in der römisch-katholischen Kirche stehe, empfahl Landesbischof Manzke. Dies könnte helfen, die römisch-katholische Kirche mit ihren theologischen Orientierungen besser zu verstehen, falsche Alternativen zu überwinden und neue Perspektiven für den ökumenischen Dialog zu eröffnen. Eine erste Gelegenheit dazu bietet Manzke zufolge eine Tagung der VELKD zusammen mit anderen kirchlichen Einrichtungen im November 2016 zum Thema "Reform im Katholizismus. Traditionstreue und Veränderung in der römisch-katholischen Theologie und Kirche".

Ökumenisches Gespräch gestärkt

In seinem Bericht ging der Landesbischof auch auf Entwicklungen in der katholischen Weltkirche ein. An der vatikanischen Bischofssynode sei ökumenisch bemerkenswert, dass katholische Theologie und Kirche Veränderungen in Lebensführung und Lebensformen deutlicher berücksichtigen wollten, ohne jedoch die Glaubenslehre und Moraltheologie zu verändern. "Damit ist das ökumenische Gespräch auch in Deutschland über ethische Fragestellungen durch die Bischofssynode positiv gestärkt worden", folgerte Manzke.

Im Blick auf das anstehende Heilige Jahr hob Manzke die päpstliche Erlaubnis für alle Priester hervor, Katholiken von der Sünde der Abtreibung lossprechen. Als überraschend wertete er zudem die Ankündigung von Franziskus, dass im Heiligen Jahr Katholiken ausnahmsweise das Beichtsakrament auch durch Priester der traditionalistischen Piusbrüderschaft empfangen dürfen. Dass der Papst einerseits Ehenichtigkeitsverfahren erleichtere und beim Thema Abtreibung ein Zeichen setze, zugleich aber auf die ultratraditionalistischen Piusbrüder zugehe, sei kennzeichnend für die Amtszeit von Franziskus, der verhärtete Fronten aufweichen wolle, sagte Manzke.

"Aus guten Gründen recht still um den Ablass geworden"

Mit dem Heiligen Jahr komme nicht nur Umkehr, Beichte und Sündenvergebung in den Blick, sondern auch der Ablass, ergänzte der Beauftragte. Dieser Erlass einer zeitlichen Strafe bringe "Problemstellen und Missverständnisse mit sich". Auch in der katholischen Kirche selbst sei es "aus guten Gründen recht still um den Ablass geworden". Nach seinem Eindruck versuche Papst Franziskus damit, auch konservative Kreise in der katholischen Weltkirche mitzunehmen. "Das wird in Deutschland keine Rolle spielen und soll auch in der evangelischen Kirche nicht eingeführt werden", versicherte Manzke vor Journalisten.

Eine deutlichere Kritik an der Ablasspraxis wünschte sich Michael Beintker, Vorsitzender des Theologischen Ausschusses der Union Evangelischer Kirchen. Der Ablass sei "biblisch nicht belegt", sagte der Theologieprofessor Beintker. Der ehemalige Bischof der Evangelischen Landeskirche in Baden, Ulrich Fischer, berichtete von Gesprächen mit katholischen Kollegen und beschrieb deren Ablehnung des Ablasses: "Am liebsten" hätten sie den Begriff nicht mehr.

Ähnlich äußerte sich der katholische Propst und Domkapitular Martin Schomaker aus Bremen. "Der Ablass spielt an der Basis keine Rolle", sagte er und ergänzte: "Wir sollten uns den Begriff für die Zukunft ersparen." Für die Anfänge der evangelischen Kirche ist der Ablass ein wichtiger Bestandteil: Der Protest gegen den damals verbreiteten Ablasshandel und die damit verbundenen Einnahmen wurde in den 95 Thesen kritisiert, die Martin Luther  am 31. Oktober 1517 in Wittenberg veröffentlicht hatte.

9. November 2015