Konfliktforscher sieht in Religionen weder Kriegs- noch Friedensstifter

München (epd). Am 11. Februar beginnt die Internationale Münchner Friedenskonferenz. Zu der Veranstaltung, die sich als kritische Alternative der zeitgleich stattfindenden Münchner Sicherheitskonferenz sieht, wird auch der Friedensforscher und Experte für Religionen und Konflikte, Markus A. Weingardt, von der Stiftung Weltethos (Tübingen), erwartet. Er kritisiert: "Um den Frieden in der Welt steht es immer noch sehr schlecht." Die Aufrüstung gehe ungebremst weiter, der Bundeswehreinsatz in Syrien wirke wie eine Selbstverständlichkeit.

Herr Weingardt, wie ist es um den Frieden in der Welt bestellt?

Markus A. Weingardt: Nicht schlechter als früher. Trotz Ukraine, Syrien und all der anderen Kriege und Krisen weltweit trügt der Eindruck, früher sei die Welt friedlicher gewesen, zumindest wenn man die Zahl der Kriegstoten als Indikator nehmen möchte. Zugleich gilt: Es steht um den Frieden immer noch sehr schlecht. Besonders bedenklich stimmen mich zwei Dinge: Die Aufrüstung nimmt weltweit ungebremst zu, auch und gerade in instabilen Ländern. Und militärische Gewalt als Reaktion auf Terror wird zunehmend als "normal" und unvermeidlich dargestellt. Der Bundeswehreinsatz in Syrien wurde im Schnelldurchgang durchgewunken, als sei es eine Selbstverständlichkeit. Das zeigt: Noch immer dominiert in der Politik ein Denken in militärischem Druck, Drohung und Gewalt. Der Ausbau von ziviler, gewaltloser Konfliktbearbeitung und von Prävention führt ein Schattendasein, bestenfalls geduldet, häufiger belächelt, gar verhöhnt. Das darf nicht hingenommen werden.

Sind Religionen in den Konflikten der Welt nicht eher Kriegsstifter?

Weingardt: "Religionen" an sich sind weder Kriegs- noch Friedenstifter, immer sind es Menschen, die so oder so handeln. Richtig ist, dass Menschen aus religiöser Motivation Gewalt ausüben, Terroranschläge verüben und Kriege führen. Und sie können sich dabei auf bestimmte religiöse Überlieferungen stützen, die sich so interpretieren lassen, dass die Gewaltanwendung legitim und religiös "richtig" scheint. Diese religiös motivierte Gewalt prägt die Berichterstattung und verzerrt nicht nur das Bild von dieser oder jener Religion. Sie überdeckt auch, dass sich erstens die gewaltige Mehrheit aller Gläubigen friedlich verhält, und dass es zweitens eine Vielzahl von religiös motivierten Friedensstiftern gab und gibt: Einzelpersonen, Initiativen oder Massenbewegungen, die sich mutig und beharrlich für Frieden, Versöhnung und Gewaltlosigkeit einsetzen.

Wie können Religionen zum Frieden beitragen?

Weingardt: In Dutzenden von Konflikten hat sich gezeigt: Religiöse Friedensstifter verfügen über enorme Kompetenzen und Erfahrungen in konstruktiver Konfliktbearbeitung - und sind damit erfolgreich. Die Analyse dieser Erfolgsbeispiele macht deutlich, dass religiös motivierte Akteure vielfach einen Vertrauensvorschuss genießen, auch über religiöse oder kulturelle Grenzen hinweg. Dieser Vertrauensvorschuss öffnet Türen und eröffnet Handlungsspielräume, die säkularen Akteuren häufig verschlossen bleiben. Hinzu kommen muss freilich die nötige Kenntnis sowohl der Konflikte als auch von Methoden konstruktiver Konfliktbearbeitung. Diese Kompetenzen müssen die Religionsgemeinschaften noch viel mehr erkennen, müssen sie weiterentwickeln, ausbauen, professionalisieren. Und dann müssen sie diese spezifischen Friedenspotenziale anbieten und sich aktiv in Friedensprozesse einbringen. Das geht nicht ohne kräftige Investitionen, vor allem aber verlangt es Mut: den Mut zu klaren Aussagen und zum Widerspruch gegen das vorherrschende Gewaltdenken in der Politik.

Gisela Dürselen (epd)

10. Februar 2016