Die Kommission zur Aufarbeitung von Kindesmissbrauch startet

Sechs Jahre nach dem Schock der Missbrauchsskandale soll die systematische Aufarbeitung sexueller Gewalt in Deutschland beginnen. Die Unabhängige Kommission startete am Dienstag ihre Arbeit. Sie will vor allem Opfer anhören.

Berlin (epd). Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat ihre Arbeit offiziell begonnen. Vom 3. Mai an können sich Betroffene über eine Telefonhotline oder eine Website an das Gremium wenden, um ihr Leiden zu schildern. Ziel ist es, bis 2019 Ausmaß, Ursachen und Folgen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen aufzuklären. Die Kommission versprach den Betroffenen Vertrauen und ein offenes Ohr. "Wir wollen es wirklich wissen", sagte die Vorsitzende Sabine Andresen.

Sechs Jahre ist es her, dass die Dimension sexuellen Missbrauchs vor allem in katholischen Einrichtungen bekannt wurde. Unter diesem Eindruck berief die Bundesregierung 2010 einen Runden Tisch ein. Eines der Ziele von Opfern war von Beginn an eine umfassende und systematische Aufklärung aller Facetten sexueller Gewalt. Bis zum Start der Aufarbeitung sollte aber noch einige Zeit vergehen: Erst Anfang dieses Jahres konnte die Aufarbeitungskommission einberufen werden.

Noch immer zu viel weggeschaut, bagatellisiert und verdrängt

Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, sagte, Schätzungen zufolge seien eine Million Kinder in Deutschland von sexueller Gewalt betroffen. Jungen und Mädchen werde oft nicht der nötige Schutz und die nötige Hilfe geboten. Es werde noch immer zu viel weggeschaut, bagatellisiert und verdrängt, sagte Rörig.

Die Kommission will das Thema Kindesmissbrauch stärker in die Öffentlichkeit bringen. Im Zentrum werden Andresen zufolge Anhörungen von Betroffenen stehen. Auch Angehörige, Lehrer und Täter – sollten sie zur Aufklärung beitragen wollen – sollen gehört werden. Neben vertraulichen Runden sind öffentliche Hearings mit Opfern und Experten geplant.

Bei der Arbeit der Kommission geht es nicht nur um den Missbrauch in Institutionen, sondern auch im familiären Umfeld. Laut Kindheitsforscherin Andresen ist das ein Novum. International gebe es dafür kein Vorbild. Tamara Luding, die als Vertreterin des Betroffenenrats der Kommission als Gast angehört, appellierte an Opfer, sich an die Kommission zu wenden. Sie wisse, wie schwer das sei, sagte sie. Die Kommission verspricht, Berichte über die Telefonhotline (0800/4030040) und die Internetseite www.aufarbeitungskommission.de anonym zu behandeln.

Die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen

Über das Ausmaß des Kindesmissbrauchs in der Bundesrepublik und der DDR sollen bis 2019 Schlussfolgerungen und Empfehlungen erarbeitet werden. Für 2017 kündigte Andresen einen Zwischenbericht an. Neben ihr gehören der Kommission die frühere Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD), der Bildungshistoriker Jens Brachmann, die Sozialwissenschaftlerin Barbara Kavemann, die frühere Richterin Brigitte Tilmann, der Psychologe Heiner Keupp und der Sexualwissenschaftler Peer Briken der Kommission an. Neben Luding vertritt Matthias Katsch als ständiger Gast die Perspektive der Betroffenen in der Kommission. Auch Rörig gehört der Kommission als Gast an.

Die Arbeit der Kommission wird mit 1,4 Millionen Euro pro Jahr aus den Haushalten des Bundesfamilien- und Bundesjustizministeriums unterstützt. Die Staatssekretärin im Justizministerium, Stefanie Hubig, bezeichnete die Arbeit der Kommission als "elementar wichtig". Die Fehler der Vergangenheit dürften sich nicht wiederholen.

Anders als von Rörig zunächst gefordert gibt es für die Kommission keine gesetzliche Grundlage – und damit auch keine Pflicht für Institutionen, bei der Aufklärung zu kooperieren. Die Mitglieder hoffen daher auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit betroffenen Einrichtungen. Rörig zeigte sich optimistisch. Er habe von evangelischer und katholischer Kirche die "klare Zusage", dass sie die Arbeit unterstützen werden, sagte er.

3. Mai 2016