Kirchliche Wirtschaftsexpertin zweifelt an schnellem TTIP-Abschluss

Mainz (epd). Die Kritiker des umstrittenen transatlantischen TTIP-Abkommens gewinnen nach Einschätzung der Mainzer Volkswirtin Brigitte Bertelmann an Boden. "Bei den Gegnern steigt der Optimismus, bei den Wirtschaftsvertretern der Ärger darüber, dass die angenommenen Chancen von den TTIP-Gegnern kaputtgemacht würden", sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Den Ausgang der Verhandlungen hält die Wirtschaftspolitik-Referentin des Zentrums Gesellschaftliche Verantwortung der hessen-nassauischen Landeskirche für derzeit nicht vorhersagbar.

"Dass noch vor den US-Präsidentschaftswahlen und den Wahlen in Deutschland und Frankreich über das fertige Abkommen abgestimmt wird, ist ausgeschlossen", sagte Bertelmann. Selbst für den Fall, dass bald ein fertiger Text vorliege, würden Übersetzungen und Feinabstimmungen noch etliche Monate dauern. Eine Schmalspur-Version des Abkommens unter Ausklammerung aller strittigen Punkte halte sie für eher unwahrscheinlich: "Sie bringt gegenüber dem gegenwärtigen Zustand niemandem einen entscheidenden Vorteil."

Am Ende könnte es vor allem um Geopolitik gehen

In der Debatte werde vernachlässigt, dass es auch in den USA und Kanada sehr viele kritische Stimmen gebe, sagte die Expertin. Sowohl Hillary Clinton als auch Donald Trump hätten sich distanziert zu TTIP geäußert. Die Verhandlungen könnten auch deshalb womöglich irgendwann auf Eis gelegt werden. Nicht auszuschließen sei aber auch, dass TTIP letztlich von den Befürwortern gegen alle Bedenken doch noch durchgesetzt werde: "Im Endeffekt könnte es gar nicht mehr vorrangig um Handelserleichterungen gehen, sondern vor allem um geopolitische Aspekte und die Berufung auf 'westliche Werte'."

Die kürzlich von Greenpeace veröffentlichten Geheimdokumente hätten gezeigt, wie weit beide Seiten noch auseinander liegen, sagte die Expertin: "Überraschend deutlich wurde, dass die schwierigen Punkte offenbar ausgeklammert wurden." Offen bleibe etwa, wie Europäer den angestrebten Zugang zu öffentlichen Aufträgen in den USA erhalten sollen. Denn die Bevorzugung amerikanischer Anbieter sei oftmals von örtlichen Behörden vorgegeben und falle gar nicht in die Zuständigkeit der US-Regierung.

Ausgleich für Verlierer nötig

Unklar sei auch, wie die EU am Vorsorgeprinzip für neue Produkte festhalten und gleichzeitig ihre Märkte für US-Importe völlig öffnen wolle. Dadurch drohten erhebliche Wettbewerbsverzerrungen. Bertelmann äußerte dennoch Verständnis für Wirtschaftsvertreter, die Vorteile aus TTIP erwarteten. "Es wird Gewinner geben", sagte sie, "aber es wird auch Verlierer geben. Wir brauchen einen internen Ausgleich für die Verlierer, und ich wäre nicht so optimistisch, dass das gelingt."

Die bislang bekanntgewordenen Details hätten sie darin bestärkt, dass die von TTIP ausgehenden Gefahren für Verbraucher, die Demokratie und das Ziel einer gerechten Weltwirtschaft die Vorteile überwiegen, sagte die Volkswirtin. Kategorisch abgelehnt werden müssten private Schiedsgerichte: "So etwas wie eine Paralleljustiz brauchen wir hier überhaupt nicht."

23. Mai 2016