"Humanitäre Korridore" für Flüchtlinge gefordert – Kirchen und Wirtschaft fordern neue Allianzen

Berlin (epd). Zur Bewältigung der Flüchtlingskrise fordern Kirchen und Wirtschaft neue Allianzen in der Gesellschaft. Herausforderungen wie die weltweite Flüchtlingsproblematik könnten nur durch ungewohnte Zusammenschlüsse bewältigt werden, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Markus Kerber, in Berlin anlässlich des Weltflüchtlingstages am 20. Juni. Kerber und die Berliner Bischöfe Markus Dröge (evangelisch) und Heiner Koch (katholisch) warben für ein Modell "humanitärer Korridore" für Flüchtlinge, wie es derzeit eine Allianz aus katholischen und protestantischen Initiativen in Italien praktiziert.

Projekt "humanitäre Korridore" verhindert gefährliche Überfahrten

Dabei vergibt der italienische Staat in den kommenden zwei Jahren bis zu 1.000 humanitäre Visa an Flüchtlinge, die von den Initiativen unter Federführung der katholischen Gemeinschaft St. Egidio in den Flüchtlingslagern im Nahen Osten ausgewählt, nach Italien gebracht und für mehrere Monate privat versorgt werden. Das Modell sei auf jeden anderen EU-Staat sofort übertragbar, sagte Ursula Kalb von St. Egidio Deutschland.

Die Zeit humanitärer Appelle sei vorbei, sagte Kalb. "Es ist dringend notwendig, Möglichkeiten für eine legale Einreise von Flüchtlingen nach Europa zu schaffen." Das Projekt "humanitäre Korridore" verhindere gefährliche Überfahrten und beziehe Ressourcen der Zivilgesellschaft mit ein. Die erste Gruppe von 91 Personen sei im Februar in Italien angekommen.

Für BDI-Chef Kerber ist das Projekt ein Puzzlestein, um eine komplexe Situation zu lösen. Er forderte vor allem aber mehr Anstrengungen und Innovationen in der Fluchtursachenbekämpfung, um die Lebensbedingungen in den Heimatländern zu verbessern. Zu lange habe Europa verdrängt, dass sich die Probleme "vor unserer Haustür" abspielen, sagte Kerber.

Das werde alles "sehr, sehr viel Geld kosten". Aber es sei klug investiert, wenn es zu einem friedlichen Afrika und einer Befriedung des Nahen Ostens führt, sagte Kerber. Dabei sieht er auch die Wirtschaft in der Verantwortung. Länder wie Deutschland dürften nicht nur exportieren, sondern müssten auch importieren, das sage einem schon die "ökonomische Logik".

Den Staat nicht aus der Verantwortung nehmen

Er warnte zudem davor, Asyl und Zuwanderung zu vermengen. Zuwanderer würden gezielt danach ausgesucht, ob sie dem Land und der Volkswirtschaft nützen und wollten eine neue Heimat. Flüchtlinge verließen ihre alte Heimat aus Not, wollten häufig wieder zurück und bräuchten erst mal eine Ausbildung. Von den im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen Flüchtlingen könnten bis zu 80 Prozent keine für Deutschland adäquate Qualifizierung vorweisen. "Das bedeutet, wenn wir in fünf Jahren jeden fünften Flüchtling im Arbeitsmarkt integrieren können, haben wir schon etwas geschafft", sagte Kerber

Die Kirchen würden private humanitäre Initiativen wie das St. Egidio-Projekt Modell auch hierzulande begrüßen, beispielsweise durch Kirchengemeinden, hieß es. Allerdings müssten Rahmenbedingungen wie die Dauer der Übernahme der Unterhaltskosten zuvor geklärt werden. Auch dürfe der Staat nicht aus der Verantwortung genommen werden. Bereits verabredete humanitäre Programme müssten auch umgesetzt werden, mahnte der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge. So seien von den 27.000 Flüchtlingen, die Deutschland laut EU-Vereinbarung Griechenland und Italien abnehmen soll, bislang ganze 47 hier aufgenommen worden.

"Humanitäre Korridore" werden das Flüchtlingsproblem nicht lösen können, sagte der Berliner Erzbischof Heiner Koch. Aber er sei froh, dass es den Mut gibt, etwas zu tun: "Jeder einzelne Mensch, der so gerettet wird, ist es wert."

6. Juni 2016